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Der stolze Orinoco

Der stolze Orinoco

Titel: Der stolze Orinoco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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gelegne Cariben seine einstige Bedeutung verloren. Statt zu einem Flecken auszuwachsen, ist es jetzt kaum noch ein Dorf und wird schließlich noch zu einem der kleinsten Weiler am mittleren Orinoco herabsinken.
    Als sie an den granitnen Abhängen einer Insel, namens Piedra del Tigre, vorüberfuhren, befanden sich die Reisenden gegenüber einer Gruppe tönender Felsen, die in Venezuela weit berühmt sind.
    Hier erklang eine Reihenfolge deutlich hörbarer musikalischer Töne, die zusammen eine wunderbare Harmonie bildeten. Da die Falcas eine neben der andern fuhren, konnten Alle den Sergeanten Martial vom Vordertheil der »Gallinetta« rufen hören: »Alle Wetter, wer ist denn der Capellmeister, der uns, mit diesem Ständchen überrascht?«
    Es handelte sich hier freilich um kein Ständchen, obgleich in weiter Umgebung spanische Sitten und Gebräuche ebenso herrschen, wie in Castilien oder Andalusien. Die Reisenden hätten eher glauben können, sich in Theben und in der Nähe der Memnonssäulen zu befinden.
    Herr Miguel klärte die Andern bald über die merkwürdige akustische Erscheinung auf, die übrigens Venezuela keineswegs eigenthümlich ist.
    »Zur Zeit des Sonnenaufgangs, sagte er, würde die Musik, die wir jetzt vernehmen, noch weit deutlicher hörbar gewesen sein, und das hat folgende Ursache: Die Felsen enthalten eine große Menge seiner Glimmerblättchen, von denen die unter den Sonnenstrahlen ausgedehnte Luft aus den Gesteinsspalten entweicht, und dann die tönenden Blättchen zum Erzittern bringt…
    – Man sieht, rief Jacques Helloch, daß die Sonne doch ein tüchtiger Capellmeister ist…
    – Na, dem Leierkasten in unsrer Bretagne kommt die Geschichte doch nicht gleich, sagte der Sergeant Martial.
    – Nein, gewiß nicht, stimmte ihm Germain Paterne zu. Eine natürliche Orgel ist für das platte Land aber etwas Herrliches…
    – Mag sein, brummte der Sergeant Martial, es hören ihr nur gar zu Viele zu!«
Fußnoten
    1 Unübersetzbares Wortspiel, da
capucins
die Kapuzinermönche,
c. de cartes
aber als Unterhaltung aufgestellte Kartenhäuser bedeutet.
    Der Uebers.
     
    2 Unübersetzbares Wortspiel, da
capucins
die Kapuzinermönche,
c. de cartes
aber als Unterhaltung aufgestellte Kartenhäuser bedeutet.
    Der Uebers.
Zehntes Capitel.
An der Mündung des Meta.
    Nachdem sie das linke Ufer erreicht hatten, gelang es den drei Piroguen, auch über das Raudal von Cariben hinauszukommen, ohne selbst einen Theil ihrer Ladung ausladen zu müssen, und gegen sechs Uhr legten sie eine nach der andern im Hintergrunde eines kleinen Hafens an.
    Früher hätten die Reisenden hier einen von einer thätigen Bevölkerung belebten Flecken mit regem Handelsverkehr, der noch im weiteren Aufblühen zu sein schien, vorgefunden. Jetzt war derselbe aus den uns schon bekannten Ursachen verfallen, und Cariben bestand eigentlich nur noch aus fünf Indianerhütten – wenigstens zur Zeit, als Chaffanjon mit dem General Oublion hierherkam.
    Bei den wenigen Yaruros, die jene Hütten bewohnten, um Aufnahme nachzusuchen, wäre ganz zwecklos gewesen. In dem so weit heruntergekommenen Orte war an eine Neubeschaffung von Nahrungsmitteln und andern Dingen gar nicht zu denken. Das war übrigens in la Urbana ausreichend geschehen, und man hoffte an Proviant bis Atures genug Vorrath zu haben, zumal da die Jäger unterwegs gewiß noch manches Stück Wild für die Küche lieferten.
    Am nächsten Tage, am 31. August, erfolgte die Abfahrt schon kurz vor Tagesanbruch, begünstigt von dem noch immer bestehenden Nordwind, den man sich für die Fahrt nach Süden, in der Richtung, die der Orinoco von la Urbana bis San-Fernando beibehält, gar nicht besser wünschen konnte. Cariben liegt ziemlich in der Mitte zwischen jenen zwei Punkten.
    Leider wehte der Nordwind aber nicht stetig, sondern mehr stoßweise, so daß nicht viel auf die Segel zu rechnen war, die einmal einige Minuten lang straff gespannt waren und dann wieder längere Zeit an den Masten schlaff herabhingen. Man mußte also zu den Palancas und den Garapatos greifen, denn an dieser Stelle ist die durch den Zufluß des Meta verstärkte Strömung mächtig genug, ein Fahrzeug leicht zurückzutreiben.
    Der Orinoco zeigte sich hier übrigens verhältnißmäßig belebt, da nicht wenige Boote der Eingebornen den Strom hinauf und hinunter fuhren. Keines davon schien aber die eine oder die andre Pirogue anlaufen zu wollen.
    Diese Curiares waren von Quivas besetzt, welche sich mit Vorliebe in der Nähe

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