Der stolze Orinoco
beweist also, meinte Jacques Helloch, daß der Meta eine natürliche Verbindung zwischen dem Atlantischen Ocean und Columbien darstellt…
– Ganz recht, erwiderte Herr Miguel, ja einzelne Geographen haben sogar behauptet, daß der Meta den kürzesten Weg von Bogota nach Paris bilde.
– Ja, meine Herren, warum sollte der Meta dann nur ein Nebenfluß des Orinoco und nicht der Orinoco selbst sein? Und warum könnten die Herren Felipe und Varinas zu seinen Gunsten nicht ihre unzulänglich begründeten Ansichten bezüglich des Guaviare und das Atabapo aufgeben?«
Darauf zielte der Franzose also hinaus!
Man wird sich leicht denken können, daß er kaum dazu kam, seine Rede zu vollenden, ohne daß die beiden Vertreter des Atabapo und des Guaviare dagegen mit Handbewegungen an Stelle von Worten Einspruch erhoben.
Jetzt platzten die Geister auf einander und es regnete Beweisgründe für die eine und die andre Ansicht über den tollkühnen jungen Mann, der die Frage über den Lauf des Orinoco angezweifelt hatte. Nicht etwa, daß er sich dafür besonders interessierte, denn ihm schien die Wahrheit auf Seiten des Herrn Miguel und der meisten Geographen zu liegen, es machte ihm aber Vergnügen, die streitsüchtigen Brüder aneinander zu hetzen. Was er für seine hingeworfene Ansicht ins Treffen geführt hatte, war mindestens ebensoviel, wenn nicht mehr werth, als die Gründe der Herren Varinas und Felipe, denn bezüglich der geographischen Wichtigkeit übertrifft der Meta zweifellos ebenso den Guaviare wie den Atabapo. Die beiden gelehrten Herren wollten aber einer dem andern nicht nachgeben, und die Verhandlung hätte sich gewiß bis weit in die Nacht hinein fortgesetzt, wenn Jean von Kermor ihr nicht dadurch eine andre Richtung gab, daß er an Herrn Miguel eine andre, nicht minder ernste Frage stellte.
Nach den Angaben seines Reiseführers machten sehr zu fürchtende Indianer die Ufer des Meta unsicher. Er fragte deshalb, was Herr Miguel ihnen wohl darüber sagen könne.
»Das hat sicher für uns mehr Interesse,« antwortete dieser, dem es ganz lieb war, das Thema des Gespräches gewechselt zu sehen.
Die beiden Collegen waren sich bereits, bildlich zu verstehen, »arg in die Haare gefahren«, was ja nichts Seltnes war, und wie mußte das erst werden, wenn sie sich an der Vereinigungsstelle der drei Flüsse befanden.
»Diese Quivas, fuhr Herr Miguel fort, sind allen Reisenden, die sich nach San-Fernando begeben, als ein sehr wilder Stamm bekannt. Man spricht sogar davon, daß eine Bande derselben über den Strom gesetzt und nach den östlichen Gebieten eingedrungen sei, wo sie Räubereien und Mordthaten ausüben.
– Ist der Anführer der Bande jetzt nicht schon todt? fragte Jacques Helloch, der auch von den Unthaten des Raubgesindels gehört hatte.
– Ganz recht, antwortete Herr Miguel, schon seit etwa zwei Jahren.
– Und wer war das?
– Ein Neger namens Sarapia, den sich die Bande zum Anführer gewählt hatte und an dessen Stelle später ein entwichner Sträfling getreten ist.
– Und die Quivas aber, fragte Jacques weiter, die auf dem rechten Ufer zurückblieben?…
– Die sind nicht weniger zu fürchten, antwortete Herr Miguel. Die meisten der Boote, denen wir von Cariben aus begegnet sind, gehören ihnen, und wir werden gut thun, so lange wir durch diese Gegend fahren, wo das jeder Schandthat fähige, noch sehr zahlreiche Raubgesindel haust, stets auf unsrer Hut zu sein.«
Daß diese Warnung berechtigt war, bewiesen die Ueberfälle, deren Opfer erst unlängst verschiedene Händler aus San-Fernando geworden waren. Der Präsident von Venezuela und der Congreß planten auch, wie man sagte, eine Expedition zur Vernichtung dieser Banden am Alto-Orinoco. Erst aus Columbia vertrieben, sollten die Quivas nun aus Venezuela verjagt werden, und wenn sie dabei nicht bis auf den letzten Mann ausgerottet wurden, würde dann Brasilien zum Schauplatz ihrer verbrecherischen Thätigkeit werden. Grade weil ihnen jene Expedition drohte, überfielen die Quivas viele Reisende mit desto grimmigerer Wuth, vorzüglich seitdem sie als Anführer einen aus Cayenne entflohenen Sträfling hatten. Die Insassen der drei Piroguen mußten also im Laufe der Fahrt hier jeden Augenblick ein wachsames Auge auf ihre Umgebung haben.
»Wir sind ja ziemlich zahlreich, wenigstens unter Einrechnung der Besatzmannschaft, auf die wir doch wohl zählen können, erklärte Jacques Helloch, und an Waffen und Munition fehlt es uns auch nicht. Diese
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