Der stolze Orinoco
dem letzten, in San-Fernando geschriebenen Briefe gesprochen hat. Wenn sie freilich auf eine so unzuverlässige Andeutung hin abgereist sind…
– Nun, sie hoffen ja in San-Fernando weitere Nachrichten erhalten zu können, der Oberst hat sich daselbst vor zwölf bis dreizehn Jahren doch bestimmt einmal aufgehalten.
– Das ist es eben, was mir Sorge macht, Germain. Erhält der junge Mann in San-Fernando weitere Mittheilungen, so wird er wahrscheinlich noch weiter… sehr weit… entweder nach Columbien oder durch die Flußgebiete des Atabapo oder des Guaviare, vielleicht auch bis nach den Quellen des Orinoco hinausgehen wollen. Ein solches Wagniß müßte doch zu einem sichern Untergange führen.«
Da unterbrach Germain Paterne seinen Genossen und sagte halblaut:
»Hörst Du nichts, Jacques?«
Dieser erhob sich, ging lautlos nach dem Vordertheil der Pirogue und lauschte, während er die Wasserfläche vom jenseitigen Ufer bis zur Mündung des Meta überblickte.
»Ich sehe nichts, sagte er zu Germain, der ihm gefolgt war. Und doch… ja, setzte er nach nochmaligem scharfen Aufpassen hinzu, mir scheint ein Geräusch vom Wasser her zu kommen.
– Sollten wir nicht die Schiffsleute wecken?
– Warte noch!… Das scheint mir gar nicht das Geräusch von einem sich nähernden Boote zu sein. Vielleicht sind es nur die Fluthen des Meta und des Orinoco, die an ihrer Vereinigungsstelle einen gurgelnden Ton erzeugen.
– Achtung! Sieh da… da draußen!« fügte Germain Paterne hinzu.
Er wies dabei nach einigen schwarzen Punkten hin, die sich wenige Schritte flußabwärts von den Falcas bewegten.
Jacques Helloch ergriff das Gewehr, das am Deckhaus lehnte, und beugte sich über den Bordrand hinaus.
»Ein Boot ist es nicht, sagte er, und doch, mir scheint, ich sehe…«
Er legte schon die Waffe an, als Germain Paterne ihn zurückhielt.
»Schieße nicht!… Schieße nicht! raunte er ihm zu. Hier ist von keinen auf Raub ausziehenden Quivas die Rede!… Das sind nur ehrliche Amphibien, die an der Wasseroberfläche Luft schnappen wollen.
– Amphibien?
– Ja, drei oder vier von den Lamantins und Toninos, die im Orinoco so häufig vorkommen!«
Germain Paterne täuschte sich hiermit nicht. Es handelte sich hier nur um einige Pärchen von Lamantins (Wasserkühen) und Toninos (Wasserschweinen), die sich in den größeren und kleineren Flüssen Venezuelas aufhalten.
Die völlig harmlosen Amphibien näherten sich langsam den Piroguen, verschwanden aber, wahrscheinlich erschreckt, als sie fast heran waren.
Die beiden jungen Leute nahmen ihren Platz auf dem Hintertheile wieder ein, und dann ging das kurze Zeit unterbrochene Gespräch wieder weiter, nachdem Germain Paterne seine Pfeife nochmals in Brand gesetzt hatte.
»Du sagtest eben, begann Jacques Helloch, daß der Oberst von Kermor, wenn Du Dich recht erinnerst, keine weitere Familie gehabt habe.
– Das glaub’ ich versichern zu können… Doch halt, da kommt mir etwas in den Sinn. Es schwebte einmal ein Proceß, der von einem Verwandten seiner Gattin angestrengt war, ein Proceß, den der Oberst beim Appellationsgericht in Rennes gewann, nachdem er ihn in unterer Instanz in Nantes verloren hatte. Ja, ja, dessen erinnre ich mich jetzt. Vier bis fünf Jahre später war Frau von Kermor, eine Kreolin von Martinique, auf der Rückkehr von den französischen Colonien bei einem Schiffbruche umgekommen… und zwar mit ihrer einzigen Tochter. Das war ein harter Schlag für den Oberst. Nach langer Krankheit, nach dem Verluste Aller, die seinem Herzen am theuersten waren – seiner Gattin und seines Kindes – und nun ohne weitere Familie, nahm er, wie ich Dir schon sagte, seinen Abschied. Kurze Zeit darauf verbreitete sich das Gerücht, daß er Frankreich verlassen habe. Niemals war dann etwas davon laut geworden, nach welchem Lande er sich gewendet haben mochte, bis der an einen seiner Freunde gerichtete Brief aus San-Fernando eintraf. Ja, so war es; ich wundre mich, daß ich mich nicht eher darauf besonnen habe. Wenn wir den Sergeanten Martial und den jungen Kermor darüber fragten, würden sie das jedenfalls bestätigen.
– Die wollen wir nicht darum befragen, antwortete Jacques Helloch, das sind Privatangelegenheiten, und es wäre von uns indiscret, sich da hineinmischen zu wollen.
– Du magst recht haben, Jacques, Du wirst aber zugeben, daß ich auch recht hatte mit der Behauptung, daß der Sergeant Martial der Onkel Jean von Kermor’s nicht sein könne, da der
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