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Der Strandlaeufer

Der Strandlaeufer

Titel: Der Strandlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boëtius
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dazugehörigen Transformator, fügte die Morsetaste in den Niedervolt-Stromkreis ein und verband einen der Pole des Induktors mit Hilfe des Drahtes durch das Küchenfenster hindurch mit der Regenrinne. Diesen primitiven Funkensender hatte ich einst auf einer Insel als Vierzehnjähriger gebaut und damit den Radioempfang der Einwohner im Umkreis von einigen hundert Metern gestört. Sie hörten statt Musik nur Knattern, wenn ich einen Stromimpuls auf den Funkeninduktor gab, der ihn auf 20 000 Volt hochspannte.
    Ich schaltete den Strom ein und betätigte die Morsetaste. Ich sendete SOS, drei Punkte, drei Striche, drei Punkte. Durch die Tüllgardine beobachtete ich die Nachbarhäuser. Nichts geschah. Vermutlich war in der Umgebung der Fernsehempfang gestört, aber niemand kannte natürlich die Quelle.
    Während ich Bier trank und weiter Morsezeichen sendete, dachte ich an meine eigene Geschichte der drahtlosen Telegraphie. Ehe ich Radios repariert und sogar selbst gebaut habe, habe ich sie kaputtgemacht. Einmal, ich kann nicht älter als drei gewesen sein, warf ich eine Nagelfeile durch den Schlitz an der Rückseite des Zauberkastens. Die Stimme des kleinen Männchens in ihm erlosch, und eine Qualmwolke drang aus dem Inneren. Das Radio war wohl schwer beschädigt, aber es wurde repariert, und ich wurde wieder einmal zum Klo geschickt, um den Kopf in die Schüssel zu stecken und heftig zu schütteln, damit der Teufel herausfiel.
    Kurz nach dem Krieg, als ich wieder draußen spielen durfte, entdeckte ich in der Nähe des kleinen Flüsschens, das unseren Ort durchzog, einen Schrottberg, auf dem die Amerikaner alte Radios und Funkgeräte entsorgten. Es war das Paradies für mich. Ich bat meine Mutter, mich mit dem Fahrrad dorthin zu fahren. Ich saß auf dem Gepäckträger und hatte meine Arme um ihre Hüften geschlungen. Auf der Müllhalde suchte ich das in meinen Augen schönste Radiochassis mit glänzenden Röhren, Kupfer- und Aluminiumteilen und einer golden-gläsernen Skala heraus. Wir schleppten es auf dem Gepäckträger zurück, und ich begann, das Gerät in seine Einzelteile zu zerlegen.
    Während einer Kinderkrankheit, die mich für einige Zeit ans Bett fesselte, weil sie mit hohem Fieber verbunden war, brachte mir meine Mutter einen Kasten mit roten Kupferspulen und anderen Elektroteilen ans Bett. Ein Geschenk der kinderlieben Besatzer, für die meine Mutter Salate bereitete. Die Amerikaner hatten die Villa meiner Großeltern, die nebenan lag und die ihnen besonders zu gefallen schien, als Hauptquartier ausgewählt. Ich vermute, dass meine Mutter von meiner Krankheit erzählt hatte. Dieses Geschenk verstärkte meine Obsession für die Welt des Radios.
    Als ich sechzehn war, baute ich meinen ersten Empfänger. Wir hatten die Insel gerade verlassen und lebten jetzt in der nahegelegenen Kleinstadt. Nie werde ich jenen Triumph vergessen, als es mir im Keller des neuen Hauses tatsächlich gelungen war, mittels einer auf einen Klopapierrollenkern gewickelten Induktionsspule, einigen anderen Bauelementen wie einfachen Drehkondensatoren, Widerständen und einer Triode ein primitives Radio zu basteln. Es war ein Audioneinkreiser mit Rückkopplung. Ich hatte die Bauteile auf einem Holzbrett montiert, sie mit freiliegenden Drähten verbunden. Dann hatte ich Wechselstrom aus der Steckdose gezapft. Als ich einen Kopfhörer aufgesetzt hatte, war das Wunder geschehen: Ich hörte plötzlich Musik und Stimmen. Leise, verzerrt, wie aus dem Jenseits kommend.
    Jetzt war es wieder so weit. Das gleiche Radio befand sich vor mir auf dem Küchentisch. Der Lautsprecher, ein alter Freischwinger, stand neben dem Brett mit den Röhren, Spulen, Drähten, Widerständen und Kondensatoren. Ich prüfte die Kontakte. Alles schien in Ordnung. Ich steckte den Stecker in die Steckdose und bewegte den Drehkondensator vorsichtig von einem Anschlag zum anderen. Plötzlich dudelte Musik. Sie klang verzerrt. Dann hörte ich eine Stimme. Sie war monoton und eindringlich und wiederholte immer wieder den gleichen unverständlichen Satz. Ich schaltete das Radio aus. Die Skalenbeleuchtung brannte nicht mehr. Aber die Stimme kam immer noch aus dem Lautsprecher. Ich legte das Ohr an die Stoffbespannung, hörte es rauschen und knacken. Da ertönte sie wieder, diesmal deutlicher. Sie klang italienisch. »Vieni oggi alla torre.« Obwohl die Stimme stark verzerrt war und oft im Rauschen und Knacken unterzugehen drohte, klang es wie der Refrain eines Liedes: »Vieni

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