Der Streik
Stahlwerkes brannte langsam nieder. Nur ein leichter roter Schein war noch am Horizont zu sehen, gerade genug, um die Konturen der Wolkenfetzen zu erkennen, die der Sturm in einem erbitterten Kampf zerrissen hatte. Dunkle Gebilde schwirrten durch die Luft und verschwanden wieder. Es waren Zweige, aber es sah aus, als wäre es das sichtbar gewordene Ungestüm des Windes.
„Es ist eine schreckliche Nacht für jedes Tier, das ungeschützt da draußen in der Ebene steht“, sagte Francisco d’Anconia. „In solchen Momenten sollte man sich glücklich schätzen, ein Mensch zu sein.“
Rearden antwortete eine Weile nicht, dann sagte er, als antwortete er sich selbst, mit einem Ton der Verwunderung in der Stimme: „Komisch …“
„Was ist komisch?“
„Sie haben eben etwas gesagt, das ich selbst vor wenigen Augenblicken gedacht hatte …“
„Tatsächlich?“
„… und nur nicht in Worte fassen konnte.“
„Möchten Sie auch den Rest der Worte hören?“
„Nur zu.“
„Sie standen da und beobachteten den Sturm – mit dem größten Stolz, den man nur verspüren kann –, weil Sie an einem Abend wie diesem als Zeichen Ihres Sieges über diesen Sturm Sommerblumen und leicht bekleidete Frauen in Ihrem Haus haben können. Und wenn es nach Ihnen ginge, würden Sie die meisten Leute, die hier anwesend sind, hilflos inmitten dieser Ebene dem Sturm aussetzen.“
„Woher haben Sie das gewusst?“
Schon als er die Frage stellte, erkannte Rearden, dass es nicht nur seine Gedanken waren, die dieser Mann ausgesprochen hatte, sondern seine innersten, persönlichsten Gefühle, und dass er, der niemals jemandem seine Gefühle eingestehen würde, es mit ebendieser Frage getan hatte. Er sah ein fast unmerkliches Blitzen in Franciscos Augen, wie von einem Lächeln oder als hätte er erfolgreich eine Aufgabe erledigt.
„Was wissen Sie schon von einem solchen Stolz?“, fragte Rearden hitzig, als könnte die Verachtung der zweiten Frage die Vertraulichkeit der ersten auslöschen.
„Ich habe einmal so empfunden, als ich jung war.“
Rearden sah ihn an. Es lag weder Spott noch Selbstmitleid in Franciscos Gesicht. Die fein gemeißelten Züge und die hellen, blauen Augen strahlten eine ruhige Gelassenheit aus, das Gesicht war offen, ungedeckt möglichen Schlägen ausgesetzt, unerschrocken.
„Warum wollen Sie darüber sprechen?“, fragte Rearden aus einem widerwilligen Mitgefühl heraus.
„Sagen wir aus Dankbarkeit, Mr. Rearden.“
„Dankbarkeit mir gegenüber?“
„Wenn Sie sie annehmen möchten.“
Reardens Stimme wurde härter. „Ich habe keine Dankbarkeit verlangt. Ich brauche keine.“
„Ich habe nicht behauptet, dass Sie sie brauchen. Aber unter all jenen, die Sie heute Abend vor dem Sturm retten, bin ich der Einzige, der sie Ihnen anbietet.“
Nach einem Augenblick des Schweigens fragte Rearden mit leiser Stimme in einem fast drohenden Ton: „Was wollen Sie?“
„Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf die Natur der Menschen, für die Sie arbeiten.“
„Um das zu denken oder zu sagen, braucht es einen Mann, der niemals in seinem Leben auch nur einen Tag ehrliche Arbeit geleistet hat.“ Die Verachtung in Reardens Stimme hatte einen erleichterten Beiklang. Ein Zweifel, ob er den Charakter seines Gegners richtig einschätzte, hatte ihn entwaffnet. Nun war er sich wieder sicher. „Sie würden es nicht verstehen, wenn ich Ihnen erklärte, dass ein Mann, der arbeitet, für sich selbst arbeitet, auch wenn er den ganzen erbärmlichen Haufen von Leuten wie Sie mitschleppt. Lassen Sie diesmal mich raten, was Sie denken: Nur zu, sagen Sie nur, dass das schlecht ist, dass ich selbstsüchtig bin, eingebildet, herzlos, grausam. Das bin ich. Ich akzeptiere nichts von diesem Unsinn, dass man für andere arbeite. Ich tue das nicht.“
Zum ersten Mal sah er eine persönliche Reaktion in Franciscos Augen, einen Blick, in dem etwas Gespanntes und Jugendliches lag. „Das einzig Falsche an dem, was Sie gesagt haben“, antwortete Francisco, „ist, dass Sie zulassen, dass jemand es als schlecht bezeichnet.“ Während Rearden ungläubig schwieg, deutete Francisco auf die Menge im Salon. „Warum sind Sie bereit, sie mitzuschleppen?“
„Weil sie ein Haufen jämmerlicher Kinder sind, die verzweifelt und sehr schlecht darum kämpfen, am Leben zu bleiben, während ich … ich bemerke die Last nicht einmal.“
„Warum sagen Sie es ihnen nicht?“
„Was?“
„Dass Sie für sich arbeiten, nicht für sie.“
„Das
Weitere Kostenlose Bücher