Der Streik
wissen sie.“
„Oh ja, das wissen sie. Jeder Einzelne hier weiß es. Aber sie wissen nicht, dass Sie es wissen. Und das Ziel all ihrer Bemühungen ist es, diese Erkenntnis von Ihnen fernzuhalten.“
„Warum sollte es mich kümmern, was sie denken?“
„Weil es ein Kampf ist, in dem man seinen Standpunkt klarmachen muss.“
„Ein Kampf? Was für ein Kampf? Ich habe die Oberhand. Ich kämpfe nicht gegen Unbewaffnete.“
„Sind sie das? Sie haben sehr wohl eine Waffe gegen Sie in der Hand. Es ist ihre einzige Waffe, aber es ist eine fürchterliche. Fragen Sie sich selbst einmal, welche Waffe das ist.“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Durch die unverzeihliche Tatsache, dass Sie so unglücklich sind, wie Sie sind.“
Rearden konnte jede Art des Vorwurfs, der Beschimpfung und der Verurteilung hinnehmen, die man ihm entgegenschleudern mochte; das Einzige, was er nicht ertragen konnte, war Mitleid. Ein plötzlicher widerwilliger Ärger machte ihm die Situation, in der er sich befand, wieder bewusst. Während er sich bemühte, ein in ihm aufsteigendes Gefühl zu ignorieren, sagte er: „Was für eine Unverschämtheit erlauben Sie sich? Was wollen Sie damit erreichen?“
„Sagen wir, Ihnen die Worte zu geben, die Sie einmal brauchen werden.“
„Warum wollen Sie mit mir über ein solches Thema sprechen?“
„Weil ich hoffe, dass Sie sich daran erinnern werden.“
Das, was er empfand, dachte Rearden, war Ärger über die unverständliche Tatsache, dass er sich erlaubt hatte, Gefallen an diesem Gespräch zu finden. Er empfand ein dumpfes Gefühl von Verrat, witterte eine unbekannte Gefahr. „Erwarten Sie von mir, dass ich vergesse, wer Sie sind?“, fragte er und begriff im gleichen Moment, dass es eben das war, was er vergessen hatte.
„Ich erwarte nicht, dass Sie überhaupt über mich nachdenken.“
Sein Ärger verdeckte das Gefühl, das Rearden sich nicht eingestehen wollte, es blieb unausgesprochen und ungedacht, er nahm es lediglich wie einen leichten Schmerz wahr. Hätte er sich dem Gefühl gestellt, hätte er gewusst, dass er immer noch Franciscos Stimme hörte, wie sie sagte: „… bin ich der Einzige, der sie Ihnen anbietet … Wenn Sie sie annehmen möchten. …“ Er hörte die Worte und den seltsam feierlichen Tonfall in seiner Stimme und seine eigene unerklärliche Antwort, etwas in ihm, das „Ja!“ rufen, annehmen wollte, diesem Mann sagen wollte, dass er annehmen wollte, dass er es brauchte – obwohl es für das, was er brauchte, keinen Namen gab, es war nicht Dankbarkeit, und Dankbarkeit hatte dieser Mann auch nicht gemeint.
Laut sagte er: „Ich habe das Gespräch mit Ihnen nicht gesucht. Aber Sie haben mich darum gebeten und müssen sich nun auch anhören, was ich zu sagen habe. Für mich gibt es nur eine einzige Form menschlicher Verworfenheit – den Menschen ohne Ziel.“
„Das ist wahr.“
„Ich kann all den anderen vergeben, sie sind nicht böse, sie sind allenfalls hilflos. Aber Sie – Sie gehören zu denen, denen man nicht vergeben kann.“
„Vor der Sünde der Vergebung wollte ich Sie warnen.“
„Sie hatten die besten Chancen im Leben. Was haben Sie daraus gemacht? Wenn Sie klug genug sind, um all die Dinge zu verstehen, die Sie sagen, wie können Sie dann überhaupt mit mir sprechen? Wie können Sie nach dieser unverantwortlichen Zerstörung, die Sie mit diesem Geschäft in Mexiko angerichtet haben, noch jemandem gegenübertreten?“
„Es ist Ihr gutes Recht, mich dafür zu verurteilen, wenn Sie wollen.“
Dagny stand an der Ecke der Fensternische und hörte zu. Sie hatten sie nicht bemerkt. Sie hatte sie beide gesehen und war näher gekommen, angetrieben von einem Impuls, den sie nicht beschreiben und dem sie sich nicht widersetzen konnte. Es schien ihr von allergrößter Bedeutung, zu wissen, was die beiden Männer einander sagten.
Die letzten Sätze hatte sie gehört. Niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass sie einmal erleben würde, wie Francisco sich geschlagen geben musste. Er konnte jeden Gegner in jeder erdenklichen Art der Auseinandersetzung vernichten. Und doch stand er jetzt da und verteidigte sich nicht. Sie wusste, dass es keine Gleichgültigkeit war; sie kannte sein Gesicht gut genug, um zu erkennen, welche Anstrengung ihn diese Ruhe kostete, sie sah, wie ein Wangenmuskel sich kaum sichtbar anspannte.
„Unter all jenen, die von den Fähigkeiten anderer leben“, sagte Rearden, „sind Sie der wahre Parasit.“
„Ich habe Ihnen
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