Der Streik
können, jenen Menschen, die gesagt hatten, das Zeitalter der Leistung sei vorüber.
Was ihn an Lillian angezogen hatte, waren ihre Nüchternheit und ihr Auftreten. Sie hatte nie jemanden gemocht oder erwartet, gemocht zu werden. Ihn fesselte der Anblick einer Frau, die ihn offensichtlich umwarb, aber mit solch augenscheinlichem Widerstreben, als täte sie es gegen ihren eigenen Willen, als kämpfte sie gegen ein Verlangen, das sie ärgerte. Sie war es gewesen, die ihr Treffen in die Wege geleitet hatte, doch dann trat sie ihm so kühl gegenüber, als wäre es ihr gleichgültig, dass er es wusste. Sie sprach nur wenig. Sie hatte etwas Geheimnisvolles an sich, das ihm zu sagen schien, dass er ihre stolze Unnahbarkeit nie durchbrechen würde, und etwas Amüsiertes, mit dem sie sein und ihr eigenes Verlangen verspottete.
Er hatte nicht viele Frauen gekannt. Er war geradewegs auf sein Ziel zugegangen und hatte alles, was sich ihm in den Weg stellte, weggeräumt; in der Welt und in seinem Inneren. Seine Hingabe an die Arbeit war wie eines der Feuer, mit denen er dort zu tun hatte, ein Feuer, das jedes unbedeutendere Element und jede Unreinheit in dem weißen Fluss eines einzigen Metalls verbrennt. Halbheiten waren nicht seine Sache. Aber es gab Zeiten, in denen er ein plötzliches Verlangen in sich aufsteigen fühlte, das so gewaltig war, dass ihm eine gelegentliche Begegnung nicht gerecht werden konnte. Er hatte dem Gefühl in all den Jahren wenige Male nachgegeben, mit Frauen, die er zu lieben glaubte. Es blieb davon nichts als ein Gefühl trostloser Leere – denn er hatte einen Akt des Triumphes gesucht, auch wenn er nicht gewusst hatte, welcher Art, doch was er von den Frauen bekommen hatte, war nur das Einverständnis zu einem gelegentlichen Vergnügen gewesen, und er wusste nur zu gut, dass das, was er gewonnen hatte, keine Bedeutung besaß. Was blieb, war nicht das Gefühl, etwas errungen zu haben, sondern ein Gefühl der Erniedrigung. Er hasste sein Verlangen immer mehr. Er bekämpfte es. Er begann zu glauben, dass dieses Verlangen rein körperlicher Natur war, ein Verlangen nicht des Bewusstseins, sondern der Materie, und er lehnte sich gegen die Vorstellung auf, dass sein Fleisch eine Entscheidung treffen könnte, die seinem bewussten Willen unzugänglich wäre. Er hatte sein Leben in Minen und Stahlwerken verbracht, wo Materie durch die Macht seines Denkens nach seinem Willen geformt wurde – und er fand es unerträglich, dass er nicht dazu in der Lage sein sollte, die Materie seines eigenen Körpers zu beherrschen. Er kämpfte dagegen an. Er hatte jeden Kampf gegen die unbeseelte Natur gewonnen, doch diesen Kampf verlor er.
Er wollte Lillian, weil sie schwer zu erobern war. Sie schien eine Frau zu sein, die ein Podest erwartete und verdiente, deswegen wollte er sie hinunter auf sein Bett ziehen. Sie hinunterziehen, dachte er. Diese Worte bereiteten ihm ein dunkles Vergnügen, bescherten ihm das Gefühl, dass sich dieser Sieg lohnte.
Er konnte nicht verstehen – er hielt es für einen obszönen Widerspruch oder das Zeichen einer in ihm verborgenen Verworfenheit –, warum er bei dem Gedanken, einer Frau den Status seiner Ehefrau zu verleihen, gleichzeitig einen tiefen Stolz empfand. Das Gefühl war feierlich und strahlend; es war fast, als wollte er eine Frau dadurch ehren, dass er sie besaß. Lillian schien in dieses Bild, von dem er weder wusste, dass er es hatte, noch dass er es verwirklichen wollte, zu passen. Er sah die Anmut, den Stolz, die Reinheit, der Rest war in ihm, und er wusste nicht, dass er ein Spiegelbild sah.
Er erinnerte sich an den Tag, als Lillian aus einem plötzlichen Impuls heraus aus New York in sein Büro kam und ihn bat, sie durch das Werk zu führen. Er hörte einen weichen, atemlosen Ton – einen Ton der Bewunderung –, der in ihrer Stimme immer stärker wurde, je länger sie ihn über seine Arbeit befragte und den Ort um sie herum besah. Er beobachtete ihre elegante Gestalt, wie sie sich vor dem Hintergrund der lodernden Feuer in den Hochöfen bewegte, und die leichten, raschen Schritte ihrer durch die Schlacke stöckelnden hochhackigen Schuhe, als sie entschlossen neben ihm herging. Der Blick in ihren Augen, wenn sie beobachtete, wie eine Charge Stahl gegossen wurde, schien ihm sein eigenes Gefühl zum Ausdruck zu bringen. Wenn ihre Augen zu seinem Gesicht hochwanderten, sah er in ihrem Blick dasselbe, jedoch in einem Ausmaß intensiviert, das sie hilflos und schweigsam
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