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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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etwas tun – und wie können wir damit weiterleben?“
    „Beruhige dich, Eddie“, sagte sie, „beruhige dich. Hab keine Angst.“
    *
    Das Gebäude des State Science Institutes stand oberhalb eines Flusses, inmitten einer einsamen Hügellandschaft in New Hampshire, irgendwo zwischen dem Fluss und dem Himmel. Aus der Ferne wirkte es wie ein einzelnes Monument in einem Urwald. Die Bäume waren mit Bedacht gepflanzt und die Straßen parkähnlich angeordnet. In einem Tal, einige Meilen entfernt, konnte man die Dächer einer kleinen Ortschaft erkennen. Aber man hatte nicht zugelassen, dass irgendetwas dem Gebäude zu nahe kam und von seiner Strenge ablenkte.
    Der weiße Marmor der Mauern verlieh ihm eine klassische Erhabenheit; die Anordnung seiner rechteckigen Formen gab ihm die Klarheit und Schönheit einer modernen Fabrik. Es war ein faszinierendes Gebäude. Von der anderen Seite des Flusses betrachteten die Leute es mit Ehrfurcht und hielten es für ein Denkmal für einen lebenden Mann, dessen Charakter dieselbe Größe hatte wie die Architektur dieses Gebäudes.
    Oberhalb des Einganges war eine Widmung in den Marmor gemeißelt: „Dem furchtlosen Geist. Der unumstößlichen Wahrheit.“ In einem ruhigen Seitentrakt, an einer Tür in einem kahlen Flur stand auf einem kleinen Messingschild, das Dutzenden anderen Namensschildern an anderen Türen glich: Dr. Robert Stadler.
    Im Alter von siebenundzwanzig Jahren hatte Dr. Robert Stadler eine Abhandlung über kosmische Strahlung verfasst, die den Großteil der Theorien, die von Wissenschaftlern vor ihm aufgestellt worden waren, zunichte gemacht hatte. Die Wissenschaftler nach ihm stießen bei den Grundlagen all ihrer Forschungen immer irgendwo auf seine Erkenntnisse. Mit dreißig galt er als der größte Physiker seiner Zeit. Mit zweiunddreißig wurde er zum Leiter der physikalischen Abteilung an der Patrick-Henry-Universität ernannt, zu einer Zeit, als die große Universität ihrem Ruhm noch gerecht wurde. Ein Autor sagte einst über ihn: „Möglicherweise ist unter allen Phänomenen des Universums, die er untersucht, keines so erstaunlich wie das Gehirn von Dr. Robert Stadler selbst.“ Es war Dr. Robert Stadler gewesen, der einst einen Studenten korrigiert hatte: „Freie wissenschaftliche Forschung? Das erste Adjektiv ist redundant.“
    Im Alter von vierzig Jahren wandte sich Dr. Robert Stadler an die Nation und trat für die Schaffung eines staatlichen wissenschaftlichen Instituts ein. „Befreien Sie die Wissenschaft von der Herrschaft des Dollars“, appellierte er. Die Sache hatte auf Messers Schneide gestanden. Eine unbekannte Gruppe von Wissenschaftlern hatte auf verschlungenen Wegen still und leise einen Gesetzesvorschlag bis auf den Tisch des Gesetzgebers manövriert. Die Öffentlichkeit hatte dem Vorschlag etwas zögerlich gegenübergestanden, es gab Zweifel, ein Unbehagen, das niemand bestimmen konnte. Doch der Name von Dr. Robert Stadler hatte auf die Nation gewirkt wie die kosmischen Strahlen, die er erforschte: Er durchbrach jeden Widerstand. Der Staat baute das weiße Marmorgebäude als ein persönliches Geschenk an einen seiner größten Männer.
    Dr. Stadlers Büro im Institut war ein kleiner Raum, der wirkte wie der Arbeitsplatz eines Buchhalters in einer schlecht gehenden Firma. Darin standen ein billiger Schreibtisch aus hässlicher gelber Eiche, ein Aktenschrank, zwei Stühle und eine Tafel, die mit mathematischen Formeln bekritzelt war. Dagny, die mit dem Rücken zur kahlen Wand auf einem der Stühle saß, fand, dass das Büro gleichzeitig einen Eindruck von Prahlerei und Eleganz vermittelte: Prahlerei, weil es schien, als sollte bewusst der Eindruck entstehen, der Inhaber dieses Raumes sei groß genug, um sich ein solches Umfeld erlauben zu können; Eleganz, weil er tatsächlich nichts anderes benötigte.
    Sie war Dr. Stadler bereits bei einigen Gelegenheiten begegnet, bei Banketten, die gewichtige Geschäftsleute oder bedeutende Ingenieurgesellschaften zu Ehren irgendeiner feierlichen Sache gegeben hatten. Sie hatte solche Veranstaltungen ähnlich widerwillig besucht wie er und hatte bemerkt, dass er Gefallen daran fand, mit ihr zu sprechen. „Miss Taggart“, hatte er einmal zu ihr gesagt, „ich rechne nie damit, auf Intelligenz zu stoßen. Aber dass ich ihr ausgerechnet hier begegne, ist solch eine unerwartete Erleichterung!“ In Erinnerung dieses Satzes war sie in sein Büro gekommen. Sie saß da und beobachtete ihn mit dem Auge eines

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