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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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Wissenschaftlers: ohne Erwartungen, ohne jedes Gefühl, nur in der Absicht zu beobachten und zu verstehen.
    „Miss Taggart“, sagte er erfreut, „Sie machen mich neugierig. Ich bin immer neugierig, wenn etwas die Tradition auf den Kopf stellt. In der Regel bedeuten Besucher für mich eine qualvolle Pflicht. Ich bin offen gesagt erstaunt, dass ich eine so ungetrübte Freude darüber empfinde, Sie hier zu sehen. Wissen Sie, was das für ein Gefühl ist, wenn man plötzlich mühelos reden kann, ohne versuchen zu müssen, etwas wie Verständnis aus einem Vakuum herauszuholen?“
    Er saß auf der Kante seines Schreibtisches, sein Auftreten war fröhlich und informell. Er war nicht besonders groß, und seine schlanke Gestalt verlieh ihm etwas Jugendliches, Tatkräftiges, eine fast jungenhafte Lebhaftigkeit. Sein schmales Gesicht war alterslos; es war kein gutaussehendes Gesicht, aber die hohe Stirn und die großen grauen Augen zeugten von solch überwältigender Intelligenz, dass man nichts anderes mehr wahrnehmen konnte. In seinen Augenwinkeln waren kleine Lachfältchen, in seinen Mundwinkeln leichte Spuren von Bitterkeit. Er sah nicht aus wie ein Mann in den frühen Fünfzigern; das langsam ergrauende Haar war das einzige Zeichen, das auf sein Alter hindeutete.
    „Erzählen Sie mir mehr von sich“, sagte er. „Ich wollte Sie schon immer einmal fragen, was Sie in einem so ungewöhnlichen Berufsfeld wie der Schwerindustrie suchen und wie Sie diese Leute aushalten können.“
    „Ich möchte Ihnen nicht Ihre Zeit stehlen, Dr. Stadler.“ Sie sprach mit höflicher, unpersönlicher Präzision. „Und das Anliegen, das ich mit Ihnen besprechen muss, ist von äußerster Wichtigkeit.“
    Er lachte. „ Da kommt der Geschäftsmann in Ihnen durch – Sie kommen lieber gleich zur Sache. Nun, selbstverständlich. Aber kümmern Sie sich nicht um meine Zeit – sie gehört Ihnen. Also, was, sagten Sie, war es, das Sie mit mir besprechen wollten? Oh, natürlich, Rearden-Metall. Nicht unbedingt eines der Themen, über die ich am besten Bescheid weiß, aber wenn es etwas gibt, das ich für Sie tun kann …“ Er machte eine einladende Geste mit der Hand.
    „Kennen Sie die Stellungnahme, die dieses Institut über Rearden-Metall veröffentlicht hat?“
    Er runzelte ein wenig die Stirn. „Ja, ich habe davon gehört.“
    „Haben Sie sie gelesen?“
    „Nein.“
    „Sie wurde mit der Absicht verfasst, die Verwendung von Rearden-Metall zu verhindern.“
    „Ja, ja, so viel hatte ich verstanden.“
    „Können Sie mir sagen, warum?“
    Er breitete seine Hände aus; es waren attraktive Hände: lange, knochige Finger, wunderschön in ihrer Andeutung nervöser Energie und Kraft. „Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Das ist der Aufgabenbereich von Dr. Ferris. Ich bin sicher, er hatte seine Gründe. Würden Sie gerne mit Dr. Ferris sprechen?“
    „Nein. Sind Sie mit den metallurgischen Eigenschaften von Rearden-Metall vertraut, Dr. Stadler?“
    „Nun ja, ein wenig. Aber sagen Sie mir, warum Sie sich darüber Sorgen machen?“
    Ein Funke des Erstaunens flackerte in ihren Augen auf und erstarb wieder. Ohne von dem unpersönlichen Ton in ihrer Stimme abzuweichen, antwortete sie: „Ich baue eine Nebenstrecke mit Schienen aus Rearden-Metall, die …“
    „Aber ja, natürlich! Ich habe davon gehört. Sie müssen mir verzeihen, ich lese die Zeitung nicht so oft, wie ich sollte. Ihre Eisenbahngesellschaft baut also die neue Strecke, ja?“
    „Die Existenz meiner Gesellschaft hängt davon ab, dass diese Nebenstrecke fertig wird – und ich glaube auf lange Sicht auch die Existenz dieses Landes.“
    Die vergnügten Fältchen um seine Augen vertieften sich. „Können Sie solch eine Aussage mit Sicherheit treffen, Miss Taggart? Ich könnte das nicht.“
    „Nur in diesem Fall?“
    „In keinem Fall. Niemand kann vorhersagen, wie die Zukunft eines Landes aussehen wird. Dabei geht es nicht um kalkulierbare Trends, sondern um ein Chaos, das der Herrschaft des Moments untersteht, in dem alles möglich ist.“
    „Glauben Sie, dass Produktion für das Bestehen eines Landes notwendig ist, Dr. Stadler?“
    „Ja, ja, natürlich.“
    „Der Bau unserer Nebenstrecke wurde durch die Stellungnahme dieses Instituts zum Stillstand gebracht.“
    Er lächelte nicht, aber gab auch keine Antwort.
    „Entspricht diese Stellungnahme Ihren Schlussfolgerungen über die Eigenschaften von Rearden-Metall?“, fragte sie.
    „Ich sagte Ihnen bereits, dass ich sie

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