Der Streik
Ereignis nicht dabei sein.“ Dann entschied sie, dass Eddie Willers Taggart Transcontinental bei der Eröffnung vertreten sollte.
Sie sah in die Menge und wunderte sich darüber, dass man sie anstarrte, wo doch dieses Ereignis so sehr ihr eigenes, persönliches war, dass man es gar nicht mit anderen teilen konnte. Gleichzeitig empfand sie es als angemessen, dass sie gekommen waren, dass sie es sehen wollten, denn der Anblick einer großen Leistung war das größte Geschenk, das ein menschliches Wesen einem anderen machen konnte.
Sie empfand keinen Zorn gegen irgendjemanden auf Erden. All die Dinge, die sie erduldet hatte, waren nun in einer Art Nebel verschwunden, wie Schmerz, der zwar immer noch da ist, aber nicht mehr die Kraft hat, weh zu tun. Diese Dinge waren neben der Realität des Augenblicks nicht mehr von Belang, denn die Bedeutung dieses Tages war so leuchtend und klar wie das auf die silberne Lokomotive getupfte Sonnenlicht. Alle Menschen mussten es jetzt sehen, niemand konnte mehr zweifeln, und daher gab es auch niemanden, den sie hätte hassen können.
Eddie Willers beobachtete sie. Er stand auf dem Bahnsteig, umringt von leitenden Taggart-Mitarbeitern, Sektionsleitern, angesehenen Bürgern und Gemeindevertretern, die überzeugt, bestochen oder bedroht worden waren, damit der Zug mit hundert Meilen pro Stunde durch Stadtgebiete fahren durfte. Dieses eine Mal, für diese Veranstaltung, hatte er das Gefühl, das Amt des Vizepräsidenten wirklich auszufüllen, und er machte sich gut darin. Aber während er mit den Menschen um ihn herum sprach, folgten seine Augen Dagny durch die Menge. Sie trug blaue Hosen und eine Bluse, sie kümmerte sich nicht um offizielle Pflichten, weil sie das alles ihm übertragen hatte. Der Zug war nun ihr einziger Gedanke, als gehörte sie lediglich zum Zugpersonal.
Sie sah ihn, ging auf ihn zu und schüttelte seine Hand. Ihr Lächeln war wie eine Summe all jener Dinge, die sie einander nicht mehr zu sagen brauchten. „Tja, Eddie, jetzt bist du Taggart Transcontinental.“
„Ja“, sagte er feierlich mit leiser Stimme.
Reporter, die ihr Fragen stellten, drängten sie von ihm fort. Auch er wurde befragt. „Mr. Willers, welche Politik verfolgt Taggart Transcontinental im Hinblick auf diese Linie?“ „Taggart Transcontinental ist also nur ein unbeteiligter Beobachter? Ist das richtig, Mr. Willers?“ Er antwortete, so gut er konnte. Er blickte auf das Sonnenlicht, das auf eine Diesellok fiel. Aber was er sah, war das Sonnenlicht auf einer Waldlichtung und ein zwölfjähriges Mädchen, das ihm sagte, dass er eines Tages mithelfen müsse, die Eisenbahn zu leiten.
Aus der Entfernung beobachtete er, wie sich die Zugbesatzung vor der Lokomotive aufstellte und sich den Kameras wie einem Exekutionskommando stellte. Dagny und Rearden lächelten, als posierten sie für Schnappschüsse eines Sommerurlaubs. Pat Logan, der Lokomotivführer, ein kleiner, sehniger Mann mit ergrauendem Haar und geringschätzigem, unergründlichem Gesichtsausdruck, stand mit amüsierter Gleichgültigkeit da. Der Beimann Ray McKim, ein stämmiger junger Riese, grinste in einem Gemisch aus Verlegenheit und Überheblichkeit. Die übrigen Besatzungsmitglieder sahen aus, als wollten sie jeden Moment in die Kamera winken. Ein Fotograf sagte lachend: „Könnten Sie nicht versuchen, wie dem Untergang Geweihte auszusehen? Ich weiß, dass mein Chefredakteur das gerne hätte.“
Dagny und Rearden beantworteten die Fragen der Presse. Ihre Antworten enthielten nun keinen Spott mehr, keine Bitterkeit. Sie genossen es. Sie antworteten, als würden die Fragen in guter Absicht gestellt. Unweigerlich und ohne dass es jemand bemerkte, stellte sich das auch ein.
„Was, glauben Sie, wird auf dieser Fahrt passieren?“, fragte ein Reporter einen der Bremser. „Glauben Sie, Sie werden am Ziel ankommen?“
„Ich glaube, wir werden ankommen“, sagte der Bremser, „so wie Sie auch, mein Freund.“
„Mr. Logan, haben Sie Kinder? Haben Sie eine Zusatzversicherung abgeschlossen? Ich denke nur an die Brücke, wissen Sie.“
„Wagen Sie nicht, über diese Brücke zu fahren, bis ich da bin“, antwortete Pat Logan abschätzig.
„Mr. Rearden, woher wissen Sie, dass Ihre Schienen halten werden?“
„Der Mann, der den Menschen die Druckerpresse gebracht hat“, sagte Rearden, „woher wusste er , dass sie funktioniert?“
„Sagen Sie, Miss Taggart, was ist es, das einen siebentausend Tonnen schweren Zug auf einer
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