Der Streik
Dreitausend-Tonnen-Brücke hält?“
„Mein Urteilsvermögen“, antwortete sie.
Die Leute von der Presse, die ihren Beruf sonst verachteten, wussten nicht, warum er ihnen heute Spaß machte. Einer von ihnen, ein junger Mann, der es in einigen erfolgreichen Jahren zu einem gewissen Ruhm gebracht hatte und in dessen Blick so viel Zynismus lag, als wäre er doppelt so alt, sagte plötzlich: „Ich weiß, was ich gerne sein möchte: Ich wünschte, ich wäre jemand, der über Neuigkeiten berichtet!“
Die Zeiger der Uhr am Bahnhofsgebäude standen auf Viertel vor vier. Die Besatzung begab sich zu den Dienstwagen am hinteren Ende des Zuges. Die Geschäftigkeit und der Lärm der Menge ebbten ab. Unbewusst begannen die Leute stillzustehen.
Der Fahrdienstleiter hatte von jedem einzelnen der örtlichen Betriebsbeamten entlang der Strecke, die sich durch die Berge bis hin zu den dreihundert Meilen entfernten Wyatt-Ölfeldern wand, Rückmeldung bekommen. Er kam aus dem Bahnhofsgebäude und gab, den Blick auf Dagny gerichtet, das Signal für freie Fahrt. Dagny, die neben der Lokomotive stand, hob die Hand und wiederholte sein Signal als Zeichen, dass sie die Anordnung entgegengenommen und verstanden hatte.
Die lange Kolonne der Güterwaggons, die mit ihren einzelnen rechteckigen Gliedern an eine Wirbelsäule erinnerte, erstreckte sich in die Ferne. Als der Zugführer weit hinten am Ende des Zuges seinen Arm durch die Luft schwenkte, erwiderte sie sein Signal mit der gleichen Armbewegung.
Rearden, Logan und McKim standen militärisch still, um sie als Erste an Bord gehen zu lassen. Als sie die Sprossen an der Seite der Lokomotive erklomm, kam einem der Reporter eine Frage in den Sinn, die er noch nicht gestellt hatte.
„Miss Taggart“, rief er ihr nach, „wer ist John Galt?“
Sie drehte sich um, während sie sich mit einer Hand an einem Metallstab festhielt und einen Augenblick lang über den Köpfen der Menge hing.
„ Wir alle!“, rief sie.
Logan folgte ihr in den Führerstand, dann McKim und schließlich Rearden. Dann wurde die Metalltür der Lokomotive geschlossen, so hermetisch und endgültig, als würde sie versiegelt.
Die Lichtsignale, die sich auf einer Signalbrücke vor dem Himmel abhoben, standen auf Grün. Grüne Lichter leuchteten auch zwischen den Gleisen, knapp über dem Boden, und liefen bis in die Ferne weiter, wo die Schienen abbogen und in der Kurve erneut ein grünes Licht stand, vor Blättern in sommerlichem Grün, die aussahen, als wären auch sie aus Licht.
Zwei Männer hielten vor der Lokomotive ein weißes Seidenband über die Gleise gespannt. Einer war der Leiter der Sektion Colorado und der andere Nealys Chefingenieur, der seine Stelle behalten hatte. Eddie Willers sollte das Band, das sie hielten, zerschneiden und damit die neue Linie eröffnen.
Die Fotografen stellten ihn sorgfältig für das Bild auf, mit der Schere in der Hand und mit dem Rücken zur Lokomotive. Er sollte den Akt zwei oder drei Mal wiederholen, damit sie verschiedene Aufnahmen zur Wahl hatten, erklärten sie; ein neues Band lag bereit. Er war kurz davor zu tun, was sie sagten, als er innehielt. „Nein“, sagte er plötzlich. „Es soll nicht gestellt sein.“
Mit einem ruhigen, bestimmenden Ton, mit der Stimme eines Vizepräsidenten, zeigte er auf die Kameras und befahl: „Gehen Sie zurück – weit zurück. Machen Sie eine Aufnahme, wenn ich das Band durchschneide, und dann gehen Sie aus dem Weg, aber schnell.“
Sie gehorchten und bewegten sich eilig weiter zurück. In einer Minute war es so weit. Eddie wandte den Kameras den Rücken zu und stand mit dem Gesicht zur Lokomotive zwischen den Gleisen. Er hielt die Schere über dem weißen Band bereit. Er nahm seinen Hut ab und warf ihn beiseite. Dann sah er hinauf zur Lokomotive. Ein sachter Windhauch fuhr durch sein blondes Haar. Die Lokomotive war wie ein großes silbernes Schild, das das Wappen von Nat Taggart trug.
Eddie Willers hob seine Hand, als der Zeiger der Bahnhofsuhr auf exakt vier Uhr sprang.
„Fahr los, Pat!“, rief er.
In dem Augenblick, in dem die Lokomotive sich in Bewegung setzte, durchschnitt er das weiße Band und sprang zur Seite.
Vom Nebengleis aus sah er, wie das Fenster des Führerstands an ihm vorbeifuhr und Dagny ihm daraus einen anerkennenden Gruß zuwinkte. Dann war die Lokomotive verschwunden, und er sah hinüber auf den überfüllten Bahnsteig, der zwischen den vorbeiratternden Güterwaggons immer wieder auftauchte und
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