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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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Obst schnitt, der Gedanke an eine Metalllegierung, die mehr leisten würde als Stahl, ein Metall, das im Vergleich zu Stahl das wäre, was Stahl im Vergleich zu Eisen war;
    – die Akte von Selbstquälerei, wenn er eine Hoffnung oder eine Probe verwarf, wenn er sich seine Müdigkeit nicht eingestand, keine Pause gönnte, sondern sich desto mehr antrieb und sagte: „Nicht gut genug … noch immer nicht gut genug …“, und dann weiterarbeitete, angespornt allein von der Überzeugung, dass es doch gelingen könne;
    – dann der Tag, an dem es gelungen war und das Ergebnis „Rearden-Metall“ genannt wurde;
    – all das war in seinem Innersten zur Weißglut gebracht, geschmolzen und zu einer Legierung vermengt worden, zu einem seltsamen Gefühl von Ruhe, das ihn auf seinem Weg durch die Dunkelheit veranlasste zu lächeln und sich zu fragen, weshalb Glück weh tun konnte.
    Nach einer Weile wurde ihm bewusst, dass er an seine Vergangenheit dachte, als lägen gewisse Tage ausgebreitet vor ihm, um noch einmal betrachtet zu werden. Er wollte sich nicht mit ihnen befassen, er verachtete Erinnerungen als sinnlose Zeitverschwendung. Doch dann begriff er, dass er an diesem Abend zu Ehren jenes Stücks Metall in seiner Manteltasche an sie denken musste, und erlaubte sich zurückzublicken.
    Er sah den Tag, an dem er auf einem Felsvorsprung stand und den Schweiß fühlte, der ihm von den Schläfen in den Nacken rann. Er war vierzehn Jahre alt, und es war sein erster Arbeitstag in den Eisenminen in Minnesota. Er versuchte, trotz des sengenden Schmerzes in seiner Brust durchzuatmen. Da stand er und verwünschte sich selbst, weil er sich vorgenommen hatte, nicht müde zu werden. Nach einer Weile ging er wieder an die Arbeit; er hatte entschieden, dass Schmerz kein angemessener Grund sei aufzuhören.
    Er sah den Tag, an dem er am Fenster seines Büros stand und die Minen besah, die seit diesem Morgen ihm gehörten. Er war dreißig Jahre alt. Was in den Jahren dazwischen geschehen war, war unbedeutend, wie auch der Schmerz nichts bedeutet hatte. Er hatte in Minen gearbeitet, in Gießereien, in den Stahlwerken im Norden des Landes, immer mit seinem Ziel vor Augen. Das Einzige, woran er sich aus jener Zeit noch erinnerte, war, dass die Menschen, mit denen er zu tun hatte, offenbar nie wussten, was zu tun sei, während er es immer schon gewusst hatte. Er erinnerte sich, dass er nicht verstand, weshalb so viele Eisenminen geschlossen wurden und auch diese geschlossen worden wäre, hätte er sie nicht übernommen. Er sah einen sanft abfallenden Felsen in der Ferne. Arbeiter befestigten ein neues Schild über einem Tor am Ende der Straße: Rearden Ore.
    Er sah einen Abend, an dem er auf seinem Schreibtisch in jenem Büro zusammengesackt war. Es war spät, und seine Mitarbeiter waren schon gegangen, sodass er unbeobachtet war. Er war müde. Ihm war, als hätte er all die Jahre einen Wettkampf gegen seinen eigenen Körper geführt und als hätte die Erschöpfung, die anzuerkennen er sich geweigert hatte, nun die Oberhand gewonnen und ihn auf seinem Schreibtisch niedergestreckt. Er fühlte nichts außer dem Bedürfnis, sich nicht zu bewegen. Er hatte nicht die Kraft, etwas anderes zu fühlen – noch nicht einmal zu leiden. Er hatte alle Reserven aufgebraucht, er hatte so viele Funken entfacht, um so viele Dinge anzustoßen – und nun, da er sich außerstande fühlte, jemals wieder auf die Beine zu kommen, fragte er sich, ob irgendjemand in der Lage wäre, ihn wieder zu entfachen. Er fragte sich, wer ihm einst die Initialzündung gegeben hatte und ihn bis heute antrieb. Dann hob er den Kopf. Langsam, mit der größten Anstrengung, die er je in seinem Leben unternommen hatte, richtete er sich im Stuhl auf und stützte sich mit einem Arm zitternd auf dem Schreibtisch ab. Nie wieder stellte er sich diese Frage.
    Er sah den Tag, an dem er auf einem Hügel stand und auf die verrußten Ruinen eines ehemaligen Stahlwerks hinabblickte. Es war außer Betrieb und stand leer. Er hatte es am Abend zuvor gekauft. Ein kräftiger Wind wehte, und graues Licht drang aus den Wolken. In diesem Licht sah er den rotbraunen Rost wie trockenes Blut auf dem Stahl der riesigen Kräne – und leuchtend grünes Unkraut, das wie gefräßige Kannibalen auf den Scherbenhaufen vor den leeren Holzrahmen der Wände wucherte. In einiger Entfernung sah er mehrere schwarze Gestalten an einem Tor. Es waren die Arbeitslosen aus den verfallenen Bruchbuden, die von der ehedem

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