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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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Umschweife. Er sprach wie jemand, der weder etwas zu verbergen noch etwas zu offenbaren hat. Sein Blick war höflich und zugleich ausdruckslos.
    „Aus welchem Grund sollten Sie dann kündigen wollen?“
    „Es ist eine persönliche Sache.“
    „Sind Sie krank? Geht es um Ihre Gesundheit?“
    „Nein.“
    „Ziehen Sie aus der Stadt weg?“
    „Nein.“
    „Haben Sie Geld geerbt, das Ihnen ein arbeitsfreies Leben ermöglicht?“
    „Nein.“
    „Sie werden also weiterhin erwerbstätig sein?“
    „Ja.“
    „Aber Sie möchten nicht mehr bei Taggart Transcontinental arbeiten?“
    „Nein.“
    „Dann muss hier etwas vorgefallen sein. Was war es?“
    „Nichts, Miss Taggart.“
    „Ich wünschte, Sie würden es mir sagen. Ich frage aus einem bestimmten Grund.“
    „Werden Sie mir glauben, Miss Taggart?“
    „Ja.“
    „Nichts und niemand im Zusammenhang mit meinem Arbeitsplatz hier hat mich zu meiner Entscheidung bewogen.“
    „Sie haben also keinen bestimmten Vorbehalt gegen die Taggart Transcontinental?“
    „Nein.“
    „Dann werden Sie vielleicht Ihre Entscheidung überdenken, nachdem Sie gehört haben, was ich Ihnen vorzuschlagen habe.“
    „Es tut mir leid, Miss Taggart. Das kann ich nicht.“
    „Darf ich Ihnen trotzdem sagen, was ich im Sinn habe?“
    „Ja, wenn Sie wünschen.“
    „Glauben Sie mir, wenn ich sage, dass ich entschieden hatte, Ihnen diesen Posten anzubieten, noch ehe Sie um einen Termin mit mir gebeten hatten? Ich möchte, dass Sie das wissen.“
    „Ich zweifle nie an dem, was Sie sagen, Miss Taggart.“
    „Es geht um den Posten des Leiters der Sektion Ohio. Wenn Sie möchten, gehört er Ihnen.“
    Er zeigte keinerlei Reaktion, als wäre ihm die Bedeutung dieser Worte so fremd wie einem Wilden, der noch nie eine Eisenbahn gesehen hat.
    „Ich möchte ihn nicht, Miss Taggart“, antwortete er.
    Sie zögerte einen Augenblick und sagte dann entschlossen: „Wie sind Ihre Bedingungen, Kellogg? Nennen Sie mir Ihren Preis. Ich möchte, dass Sie bleiben. Ich nehme es mit dem Gebot jeder anderen Eisenbahngesellschaft auf.“
    „Ich werde für keine andere Eisenbahngesellschaft arbeiten.“
    „Ich dachte, Sie liebten Ihren Beruf.“
    Zum ersten Mal nahm Sie eine Regung in ihm wahr. Seine Augen wurden ein wenig größer, und in seiner Stimme lag ein seltsamer leiser Nachdruck, als er antwortete: „Das tue ich auch.“
    „Dann verraten Sie mir, was ich sagen muss, um Sie zum Bleiben zu bewegen!“
    Ihre Bitte war so spontan und aufrichtig, dass sie ihn anrührte.
    „Möglicherweise ist es unfair von mir herzukommen, um Sie von meiner Kündigung zu informieren, Miss Taggart. Ich weiß, dass Sie mich darum gebeten hatten, weil Sie die Möglichkeit haben wollten, mir ein Gegenangebot zu machen. Es könnte also so aussehen, als wäre ich dafür offen. Aber das bin ich nicht. Ich bin nur gekommen, weil ich … weil ich mein Wort halten wollte.“
    Sein kurzes Stocken machte ihr schlagartig klar, wie viel ihm ihr Interesse und ihre Bitte bedeutet hatten und dass ihm seine Entscheidung nicht leichtgefallen war.
    „Es gibt also nichts, womit ich Sie umstimmen könnte, Kellogg?“, fragte sie.
    „Nichts, Miss Taggart. Nichts auf der Welt.“
    Er wandte sich um und wollte gehen. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich hilflos und geschlagen.
    „Warum?“, fragte sie, aber die Frage war nicht an ihn gerichtet.
    Er blieb stehen. Er zuckte mit den Schultern und lächelte – einen Augenblick lang war er lebendig, und sein Lächeln war das sonderbarste, das sie je gesehen hatte. Es lagen darin heimliche Belustigung, Kummer und unendliche Bitterkeit. Er entgegnete: „Wer ist John Galt?“

II. Die Kette
    A nfangs waren nur einige wenige Lichter zu sehen. Als ein Zug der Taggart Transcontinental sich Philadelphia näherte, leuchteten hier und da helle Punkte am finsteren Horizont auf. Sie waren wie absichtslos in den leeren Raum hineingeworfen, und doch glühten sie zu hell, um von ungefähr zu kommen. Die Fahrgäste schenkten ihnen wenig Beachtung.
    Als Nächstes erschien der schwarze Umriss eines Bauwerks, das vor dem dunklen Himmel kaum zu sehen war, und schließlich ein großes Gebäude unweit der Gleise. Das Gebäude war unbeleuchtet, und die Lichter des Zuges spiegelten sich als durchgehender Streifen in seinen massiven Glaswänden.
    Ein entgegenkommender Güterzug versperrte die Sicht und erschütterte die Scheiben mit einem plötzlichen Tosen. In einer Lücke über den Flachwagen sahen die

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