Der Streik
Kannibalen. Aber euer Spiel ist aus, denn nun wissen auch wir es.
Durch Jahrhunderte der von eurem Moralkodex hervorgerufenen Plagen und Katastrophen hindurch habt ihr gejammert, euer Kodex sei nicht befolgt worden und die Plagen seien die Strafe dafür, die Menschen seien zu schwach und selbstsüchtig, um all das Blut zu vergießen, das dafür zu vergießen nötig sei. Ihr habt den Menschen verdammt, ihr habt die Existenz verdammt, ihr habt diese Erde verdammt, aber nie habt ihr es gewagt, euren Kodex in Frage zu stellen. Eure Opfer haben die Schuld auf sich genommen und weitergekämpft; eure Flüche waren ihr Lohn für ihr Martyrium, während ihr fortfuhrt zu klagen, euer Kodex sei edel, aber die menschliche Natur sei nicht gut genug, ihn zu befolgen. Und niemand erhob sich, um die Frage zu stellen: Gut? – Nach welchem Maßstab?
Ihr wolltet wissen, wer John Galt ist. Ich bin der Mensch, der diese Frage gestellt hat.
Ja, dies ist tatsächlich ein Zeitalter der moralischen Krise. Ja, ihr erleidet tatsächlich die Strafe für eure Übeltaten. Aber es ist nicht der Mensch, der vor Gericht steht, und es ist nicht die menschliche Natur, der die Schuld zugeschoben werden kann. Diesmal steht euer Moralkodex auf dem Prüfstand. Euer Moralkodex hat seinen Zenit erreicht, das Ende der Sackgasse, in die er führt. Und wenn ihr jetzt am Leben bleiben wollt, gilt es nicht, zur Moral zurückzukehren – ihr, die ihr nie eine Moral gekannt habt –, sondern sie überhaupt erst zu entdecken .
Die einzigen Moralvorstellungen, die ihr bisher kennengelernt habt, sind die mystische und die gesellschaftliche. Euch wurde beigebracht, Moral sei ein Verhaltenskodex, der euch aus einer Laune heraus auferlegt würde, der Laune einer übernatürlichen Macht oder der Laune der Gesellschaft, um einem göttlichen Zweck zu dienen oder dem Wohl eures Nächsten, um einer jenseitigen oder einer diesseitigen Autorität zu gefallen – nicht aber, um eures Lebens oder eurer Freude willen. Euch wurde beigebracht, eure Freude sei in der Unmoral zu finden, eure Interessen würden durch Böses befriedigt und jeder Moralkodex dürfe nicht zu euren Gunsten , sondern müsse zu eurem Nachteil ausgelegt sein, er dürfe euer Leben nicht fördern, sondern müsse es schwächen.
Seit Jahrhunderten wurde der Kampf der Moral zwischen denen ausgefochten, die behaupteten, euer Leben gehöre Gott, und denen, die behaupteten, es gehöre eurem Nächsten; zwischen denen, die predigten, Selbstaufopferung sei gut, denn es diene himmlischen Mächten, und denen, die predigten, Selbstaufopferung sei gut, denn sie diene irdischen Taugenichtsen. Doch niemand ist je vorgetreten, um euch zu sagen, dass euer Leben euch gehört und dass es gut ist, es zu leben.
Beide Seiten waren sich darüber einig, dass die Moral von euch verlangt, euer Eigeninteresse und euren Verstand aufzugeben, dass das Moralische und das Praktische einander widersprechen, dass Moral keine Sache der Vernunft ist, sondern eine Sache von Glauben und Zwang. Beide Seiten waren sich darüber einig, dass es keine rationale Moral geben kann, dass es in der Vernunft kein Richtig und Falsch gibt – dass die Vernunft keine Grundlage für Moral bietet.
Mögen sie sich sonst auch befehdet haben, gegen den menschlichen Verstand haben alle eure Moralisten zusammengehalten. All ihre Programme und Systeme waren darauf ausgelegt, den menschlichen Verstand zu plündern und zu zerstören. Jetzt steht ihr vor der Wahl, zugrunde zu gehen oder zu begreifen, dass gegen den Verstand zu sein bedeutet, gegen das Leben zu sein.
Der Verstand ist das Werkzeug, das der Mensch zum Überleben am nötigsten braucht. Das Leben ist ihm gegeben, das Überleben nicht. Sein Körper ist ihm gegeben, dessen Erhalt nicht. Sein Verstand ist ihm gegeben, dessen Inhalt nicht. Um am Leben zu bleiben, muss er handeln, und ehe er handeln kann, muss er das Wesen und den Zweck seiner Handlung kennen. Er kann seine Nahrung nicht beschaffen, ohne zu wissen, was Nahrung ist und wie sie zu beschaffen sei. Ohne die Kenntnis seines Ziels und der dazu nötigen Mittel kann er weder einen Graben ausheben noch einen Teilchenbeschleuniger konstruieren. Um am Leben zu bleiben, muss er denken.
Doch das Denken ist eine Handlung, für die man sich bewusst entscheiden muss. Der Schlüssel zu dem, was ihr leichthin die ‚menschliche Natur‘ nennt, das offene Geheimnis, mit dem ihr lebt, vor dem ihr aber aus Angst die Augen verschließt, ist die Tatsache, dass
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