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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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Triebfeder. Unser Bestreben ist es nicht, dem Tod zu entkommen, sondern das Leben zu leben.
    Ihr, die ihr diesen Unterschied nicht mehr begreift, die ihr behauptet, Furcht und Freude seien gleichermaßen Triebfedern – und heimlich hinzufügt, Furcht sei die ‚praktischere‘ der beiden –, ihr wollt nicht leben, und nur die Angst vor dem Tod erhält eure Existenz aufrecht, die ihr selbst verflucht habt. In panischer Angst jagt ihr von einer Falle zur nächsten, stets auf der Suche nach der Ausgangstür, die ihr verschlossen habt, auf der Flucht vor einem Verfolger, den ihr nicht zu benennen wagt, und geratet dabei in ein Entsetzen, das ihr nicht sehen wollt, und je größer euer Entsetzen, desto größer eure Angst vor der einzigen Tat, die euch retten könnte: dem Denken. Der Zweck eures Kampfes ist, nicht zu verstehen, nicht zu begreifen, zu benennen oder zu hören, was ich euch jetzt zu Gehör bringe: dass ihr die Moral des Todes vertretet.
    Der Tod ist euer Wertmaßstab, der Tod ist euer selbstgewähltes Ziel, und ihr müsst ständig auf der Flucht sein, denn es gibt kein Entkommen, weder vor dem Verfolger, der euch zerstören will, noch vor der Erkenntnis, dass ihr selbst dieser Verfolger seid. Haltet einmal inne – es gibt ohnehin keinen Zufluchtsort –, steht so nackt da, wie ihr Angst habt dazustehen, aber wie ich euch sehe, und schaut an, was ihr einen Moralkodex zu nennen gewagt habt.
    Verdammnis ist der Ausgangspunkt eurer Moral, und Zerstörung ist ihr Zweck, Mittel und Ende. Euer Kodex verdammt den Menschen zunächst als böse und verlangt dann, dass er etwas Gutes tue, erklärt aber zugleich, ebendies sei ihm nicht möglich. Als ersten Beweis für Tugendhaftigkeit verlangt er vom Menschen, ohne Beweise seine eigene Verkommenheit zu akzeptieren. Er verlangt von ihm, nicht von einem Maßstab von Werten auszugehen, sondern von einem Maßstab des Bösen, nämlich sich selbst, und aufgrunddessen das Gute zu definieren: Das Gute ist das, was er nicht ist.
    Es spielt keine Rolle, wer anschließend von seiner abgelegten Herrlichkeit und seiner gepeinigten Seele profitiert: ein mystischer Gott mit unbegreiflichen Absichten oder der nächstbeste Passant, dessen eiternde Wunden ihm einen unerklärlichen Anspruch auf ihn einräumen – es spielt keine Rolle, denn es kommt ihm ohnehin nicht zu, das Gute zu verstehen; seine Pflicht ist es, Jahr um Jahr Buße zu tun und die Schuld seiner Existenz an jedem dahergelaufenem Eintreiber unverständlicher Schulden zu sühnen, und seine einzige Wertvorstellung ist eine Null: Das Gute ist das, was nicht Mensch ist.

Der Name dieser ungeheuerlichen Absurdität ist Erbsünde.
    Die Idee einer unwillentlich begangenen Sünde ist ein Schlag ins Gesicht aller Moral und ein unverschämter Widerspruch in sich: Was jenseits einer Wahlmöglichkeit liegt, liegt auch jenseits der Moral. Ist der Mensch von Geburt an böse, dann hat er keinen freien Willen und somit auch nicht die Macht, daran etwas zu ändern; hat er keinen freien Willen, dann kann er weder gut noch böse sein; ein Roboter ist amoralisch. Dem Menschen etwas als Sünde anzulasten, das außerhalb seines Einflussbereichs liegt, ist eine Verhöhnung der Moral. Ihm seine Natur als Sünde anzulasten, ist eine Verhöhnung der Natur. Ihn für ein vorgeburtlich begangenes Verbrechen zu bestrafen, ist eine Verhöhnung der Justiz. Ihn in einer Angelegenheit für schuldig zu erklären, die keine Unschuld kennt, ist eine Verhöhnung der Vernunft. Moral, Natur, Justiz und Vernunft mittels einer einzigen Vorstellung zu zerschlagen, ist eine Tat, wie sie böser kaum sein könnte. Doch eben darin wurzelt euer Kodex.
    Versteckt euch nicht hinter der feigen Ausrede, der Mensch sei mit einem freien Willen, aber einer ‚Neigung‘ zum Bösen geboren. Ein freier Wille, der einer Neigung unterworfen ist, ist wie ein Spiel mit falschen Würfeln. Er zwingt den Menschen, mühsam zu spielen, die Verantwortung für das Spiel zu tragen und dafür zu bezahlen, obgleich das Ergebnis des Spiels durch eine Neigung beeinflusst wird, der er nicht entrinnen kann. Wählt er diese Neigung selbst, dann kann sie nicht angeboren sein; wählt er sie hingegen nicht selbst, dann hat er keinen freien Willen.
    Welcher Art ist die Schuld, die eure Lehrer als ‚Erbsünde‘ bezeichnen? Welche bösen Eigenschaften hat der Mensch angenommen, als er seine vermeintliche Vollkommenheit verlor? Ihr Mythos besagt, dass er die Frucht vom Baum der Erkenntnis aß – er

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