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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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Augen: euch auf eine Masse zu reduzieren, die der Richtigkeit ihres Denkens abgeschworen hat.
    Doch das ist nur mit eurer Zustimmung möglich. Lasst ihr es geschehen, dann verdient ihr es nicht anders.
    Wenn ihr der Rede eines Mystikers über die Ohnmacht des menschlichen Verstandes lauscht und anfangt, an eurem Bewusstsein zu zweifeln anstatt an seinem, wenn ihr es zulasst, dass euer unsicherer, halbrationaler Geisteszustand durch jede Behauptung erschüttert wird, und wenn ihr meint, es sei sicherer, euch auf des Mystikers überlegene Gewissheit und Kenntnis zu verlassen, dann seid ihr beide die Dummen: Eure Billigung ist seine einzige Quelle der Gewissheit. Die übersinnliche Macht, vor der der Mystiker sich fürchtet, der unerkennbare Geist, den er anbetet, das Bewusstsein, das er für allmächtig hält, ist eures .
    Ein Mystiker ist ein Mensch, der seinen Verstand bei der ersten Begegnung mit dem Verstand anderer aufgegeben hat. Irgendwann in den frühen Tagen seiner Kindheit, als die Behauptungen, die willkürlichen Befehle und die widersinnigen Anordnungen anderer seinem eigenen Verständnis der Wirklichkeit widersprachen, erlag er seiner feigen Angst vor Unabhängigkeit und entsagte seiner Vernunftbegabung. An den Scheidewegen der Wahl zwischen ‚ich weiß‘ und ‚sie sagen‘ entschied er sich für die Autorität anderer, er entschloss sich, sich zu fügen statt zu verstehen, zu glauben statt zu denken. Der Glaube an das Übernatürliche beginnt als Glaube an die Überlegenheit anderer. Seine Unterwerfung verwandelte sich in das Gefühl, er müsse sein mangelndes Verständnis verbergen, andere verfügten über ein geheimnisvolles Wissen, welches allein ihm vorenthalten sei, die Wirklichkeit richte sich kraft einer ihm auf immer unerreichbaren Einflussmöglichkeit nach ihren Wünschen.
    Seither ist er aus Angst zu denken seinen nebelhaften Gefühlen ausgeliefert. Seine Gefühle sind sein einziger Leitfaden, sein letzter Rest an persönlicher Identität. Er hält mit grimmiger Besitzgier an ihnen fest – und jegliches Denken, das er noch vollzieht, ist dem Bemühen gewidmet, die Augen davor zu verschließen, dass das Wesen seiner Gefühle Angst ist.
    Erklärt ein Mystiker, er fühle die Existenz einer dem Verstand überlegenen Macht, dann fühlt er diese tatsächlich, doch ist diese Macht nicht etwa ein allwissendes kosmisches Geistwesen, sondern das Bewusstsein eines jeden x-Beliebigen, dem er sein eigenes Bewusstsein unterworfen hat. Ein Mystiker wird von dem Drang angetrieben, jenem allmächtigen Bewusstsein anderer zu imponieren, es zu betrügen, ihm zu schmeicheln, es zu täuschen und es zu zwingen. ‚Sie‘ sind sein einziger Zugang zur Wirklichkeit. Er spürt, dass er nur existieren kann, indem er ihre geheimnisvolle Macht für sich nutzbar macht und ihnen ihre unbegründete Zustimmung abnötigt. ‚Sie‘ sind sein einziges Mittel der Wahrnehmung, und wie ein Blinder, der auf das Augenlicht eines Hundes angewiesen ist, glaubt er, sie anleinen zu müssen, um leben zu können. Das Bewusstsein anderer zu steuern wird seine einzige Leidenschaft; Machtgier ist ein Unkraut, das nur auf den brachliegenden Feldern eines verlassenen Verstandes wächst.
    Jeder Diktator ist ein Mystiker, und jeder Mystiker ist ein potenzieller Diktator. Ein Mystiker benötigt den Gehorsam anderer, nicht ihr Einverständnis. Er will, dass sie ihr Bewusstsein seinen Behauptungen, Erlässen, Wünschen und Launen unterwerfen – wie sein Bewusstsein ihrem unterworfen ist. Er will den Menschen mit Glauben und Gewalt begegnen – ihre Zustimmung befriedigt ihn nicht, wenn er sie durch Tatsachen und Vernunft erlangen muss. Verstand ist der Feind, den er fürchtet und für gefährlich hält; Verstand ist für ihn ein Mittel zur Täuschung; seinem Gefühl nach besitzen die Menschen eine Macht, die wirksamer ist als Verstand – und allein ihr ursacheloser Glaube oder ihr erzwungener Gehorsam können ihm ein Gefühl von Sicherheit vermitteln, einen Beweis dafür, dass er die mystische Begabung, die ihm gefehlt hatte, in seine Gewalt gebracht hat. Er lechzt danach zu befehlen, nicht zu überzeugen: Das Überzeugen setzt einen Akt der Unabhängigkeit voraus und fußt auf dem Absolutum einer objektiven Wirklichkeit. Er will Macht über die Wirklichkeit erlangen sowie über das Mittel, mit dem die Menschen sie wahrnehmen: ihren Verstand. Er will die Macht, seinen Willen zwischen die Existenz und das Bewusstsein zu schalten, als würden

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