Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
Vom Netzwerk:
erreichen: nackt … bar jeder Sorge, außer der um das Ziel … die Nummer 367, die Nummer eines Hauses am East River, die ihr Verstand unentwegt wiederholte, die Nummer, an die zu denken ihr so lange verboten gewesen war.
    Drei – sechs – sieben, dachte sie und hielt Ausschau nach einer unsichtbaren Form unter all den eckigen Umrissen der Wohnhäuser, drei – sechs – sieben … dort lebt er … wenn er denn überhaupt lebt. … Ihre Ruhe, ihre innere Distanz und die Sicherheit ihrer Schritte rührten von der Gewissheit, dass sie mit diesem „Wenn“ nicht länger leben konnte.
    Sie hatte zehn Tage lang damit gelebt – und die zurückliegenden Nächte hatten sie in einer stringenten Vorwärtsbewegung zu dieser Nacht geführt, als wäre der Impuls, der jetzt ihre Schritte antrieb, der unerwiderte Klang ihrer eigenen Schritte in den unterirdischen Tunneln des Terminals. Sie hatte dort nach ihm gesucht, war stundenlang gelaufen, Nacht für Nacht – die Stunden der Schicht, in der er einmal gearbeitet hatte –, durch die unterirdischen Gänge, Bahnsteige und Geschäfte und entlang jeder Biegung stillgelegter Gleise, ohne jemanden zu fragen, ohne jemandem ihre Anwesenheit zu erklären. Sie war ohne Furcht oder Hoffnung gelaufen, angetrieben von einem Gefühl verzweifelter Treue, das fast ein Gefühl von Stolz war. Jenem Gefühl lagen die Augenblicke zugrunde, in denen sie in plötzlichem Staunen in irgendeinem dunklen unterirdischen Winkel stehengeblieben war und die Worte gehört hatte, die sie in Gedanken halb ausformuliert hatte: Dies ist meine Eisenbahn – wenn sie ein mit dem Schall ferner Zugräder erzitterndes Gewölbe sah; dies ist mein Leben – wenn sie die geronnene Spannung wahrnahm, die von all dem herrührte, was in ihr gebremst und aufgeschoben wurde; dies ist meine Liebe – wenn sie an den Mann dachte, der sich möglicherweise irgendwo in diesen Tunneln aufhielt. Es kann keinen Widerspruch zwischen diesen drei Dingen geben … woran zweifle ich? … was kann uns voneinander trennen, hier , wo nur er und ich hingehören? … Dann, als sie sich ihre Situation wieder vergegenwärtigt hatte, war sie mit gleichmäßigen Schritten weitergelaufen, mit demselben Gefühl ungebrochener Treue, aber mit anderen Worten im Ohr: Du hast mir verboten, nach dir zu suchen, du kannst mich verdammen, du kannst mich fallen lassen … aber die Tatsache, dass ich am Leben bin, gibt mir das Recht zu erfahren, ob auch du es bist … Ich muss dich dies eine Mal sehen … ich muss nicht anhalten, nicht mit dir sprechen und dich nicht berühren, sondern dich nur sehen. … Sie hatte ihn nicht gesehen. Sie hatte ihre Suche aufgegeben, nachdem sie die neugierigen, verwunderten Blicke der Tunnelarbeiter bemerkt hatte, die ihren Schritten gefolgt waren.
    Sie hatte eine Versammlung der Gleisarbeiter des Terminals einberufen, angeblich um ihren Gemeinschaftsgeist zu stärken; sie hatte die Versammlung zweimal abgehalten, um alle Männer nacheinander zu sehen; sie hatte dieselbe unverständliche Rede wiederholt und sich geschämt angesichts der inhaltslosen Allgemeinplätze, die sie äußerte, und zugleich war sie stolz gewesen, dass es ihr nichts mehr ausmachte; sie hatte in die erschöpften, verrohten Gesichter von Männern geblickt, denen es egal war, ob man sie anwies zu arbeiten oder sich bedeutungslose Laute anzuhören. Sie hatte unter ihnen sein Gesicht nicht entdeckt. „Waren alle anwesend?“, hatte sie den Vorarbeiter gefragt. „Ja, ich schätze schon“, hatte er gleichgültig geantwortet.
    Sie hatte an den Eingängen zum Terminal herumgelungert und die Männer beobachtet, als sie zur Arbeit kamen. Aber es gab zu viele Eingänge und keinen Ort, an dem sie beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden; sie hatte durchnässt im Zwielicht auf einem regennassen Bürgersteig gestanden, dicht an die Wand eines Lagerhauses gedrückt, den Mantelkragen bis zu den Wangenknochen hochgezogen, während Regentropfen von ihrer Hutkrempe fielen; sie hatte so gestanden, dass sie von der Straße aus gesehen werden konnte, obwohl sie wusste, dass die Vorübergehenden sie erkannten und verwundert anschauten, obwohl sie wusste, dass ihre nächtliche Wache zu offensichtlich und damit gefährlich war. Wenn es unter ihnen einen John Galt gab, könnte jemand den Zweck ihrer Suche erraten … wenn es unter ihnen keinen John Galt gab … wenn es auf der Welt keinen John Galt gab, dachte sie, dann gab es keine Gefahr – und keine

Weitere Kostenlose Bücher