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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
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September wieder in
     die Schule.«
    »Woher sollen wir
     wissen, wann in der Schweiz die Schule anfängt? Das einzige, was ich
     weiß, ist, daß sie den Sommer dieses Jahr in irgendeinem
     Fischerdorf an der Küste von Connecticut verbringen. Und daß
     sie in einer Woche kommt.«
    »Ein Fischerdorf«,
     sagte Mom. »Ein Kind in einem Fischerdorf! Du liebe Güte.«
    »Ich gebe dir die
     Adresse, dann kannst du ihnen direkt schreiben. Aus irgendeinem Grund
     wollen sie ihr erlauben, mich zu besuchen, und ich habe nicht vor, sie
     abzuweisen, nur weil sie mir nicht ewig Zeit gibt.«
    Mom nickte. »Du bist
     ein guter Sohn, Albert«, sagte sie, womit sie meinte: ein guter
     Vater. Wieviel an beidem dran war… Aber ich wollte die Sache im
     Zweifelsfalle zu ihren Gunsten auslegen.
    »Bleibst du zum
     Abendessen?«
    »Ich muß nach
     Beech Grove. Ich hab einen Klienten.«
    Sie schwieg einen Augenblick
     lang. »Ich habe deine Annonce in der Zeitung gesehen.«
    »Ach?«
    »Demütigend«,
     sagte sie.
    Ich ließ es ihr
     durchgehen.
    »Aber wenigstens hast
     du jetzt Arbeit«, sagte sie.
    »Ja.«
    »Das ist schließlich
     die Hauptsache.«
    Ich erzählte ihr nicht,
     daß ich die allerbesten Aussichten hatte, keine Arbeit mehr zu
     haben, noch bevor ich wieder zu Hause war. Vor solchen Dingen muß
     man Mütter beschützen. 
    *
    Es war etwa halb sechs, als
     ich vor dem Haus der Pighees in Beech Grove hielt. Ich stieg aus und
     machte einen Schritt auf die Einfahrt von Mrs. Thomas’ Heim zu.
    Aber dann hielt ich inne.
     Drehte mich um und ging -sei’s drum - zum Haus.
    Ich drückte zweimal auf
     die Klingel. Keine Reaktion. Ich klingelte wieder und wollte gerade gehen,
     als eine Stimme hinter der Tür sagte: »Ist da jemand?«    
    »Ja«, rief ich.
    »Ich erwarte niemanden«,
     sagte sie, machte sich jedoch daran, aufzuschließen.
    Linn Pighee war eine Frau von
     Ende zwanzig, die wußte, wie man sich mit einem vollen Glas in der
     Hand bewegte. Sie hatte langes, schwarzes Haar, glasige braune Augen und
     ließ Fremde in ihr Haus.   
    »Es macht Ihnen doch
     nichts aus, wenn wir nicht ins Wohnzimmer gehen, um herauszufinden, was
     Sie wollen, oder?« fragte sie. »Draußen auf der Veranda
     ist es kühler.«
    Ich folgte ihr zur Veranda,
     wo sie die Kuhle eines Liegesofas ausfüllte, das neben einer
     fahrbaren Bar stand. »Machen Sie es sich bequem«, sagte sie,
     bot mir dazu jedoch keine weiteren Hilfsmittel als einen Stuhl an.
    »Ich habe einen
     schrecklichen Tag hinter mir«, sagte sie. »Ich fühle mich
     so furchtbar schwach! Es sieht so aus, als könnte ich überhaupt
     nichts mehr tun.«
    »Das tut mir leid«,
     sagte ich. 
    Sie lachte. Dann nippte sie
     an ihrem Glas, verzog aber das Gesicht, so als schmecke das, was sie
     trank, nicht besonders gut. »Und wie war Ihr Tag?«
    »So, als hätte ich
     versucht, den Deckel einer Dose voller Würmer mit bloßen Händen
     aufzubekommen«, sagte ich. »Ich kriege ihn hoch genug, um zu
     sehen, daß die Würmer dadrin sind. Aber ohne Öffner habe
     ich keine Chance.«
    »Huch, das ist ja
     furchtbar.« Sie legte eine überraschend echte Anteilnahme an den Tag.
     »Kann ich irgend etwas für Sie tun?«
    »Sie können«,
     sagte ich. »Aber wahrscheinlich wollen Sie nicht.«
    Sie lachte wieder, führte
     das Glas an die Lippen, nahm aber nur einen Eiswürfel, den sie
     anschließend zerkaute. »Der ehrgeizige, positive,
     zuversichtliche Typ«, sagte sie.
    »Übermäßigen
     Ehrgeiz wirft man mir eigentlich nur selten vor.«
    »Spricht für Sie«,
     sagte sie. »Ich mag keine ehrgeizigen Menschen.« Sie holte
     tief Luft. »Also, was wollen Sie?«
    »Daß Sie nichts
     dagegen haben, mir zu erzählen, welche Arrangements Sie mit Loftus
     haben, Ihren Mann betreffend.«
    Sie konnte es zuerst gar
     nicht glauben. »Sie interessieren sich für John, ja?«
     fragte sie und trank einen Zentimeter aus ihrem Glas. »Ich nehme an,
     ich sollte Sie fragen, was Sie das angeht.«
    »An Ihrer Stelle täte
     ich das.«
    »An meiner Stelle ist
     kaum Platz für zwei.« Sie drehte sich auf ihrer Chaiselongue um
     und angelte eine Packung Zigaretten hinter den Flaschen auf der Bar
     hervor. Sie zog eine heraus, zündete sie an, sog tief und zufrieden
     daran und drückte sie aus. Dann machte sie es sich wieder bequem.
     »John hatte einen Unfall. Ich nehme an, Sie wissen das.«
    Ich nickte.
    »Etwas Ernstes. Es war
     eine Art Explosion oder… so. Jedenfalls wäre er wohl
    

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