Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
Vom Netzwerk:
sehen.«
    »Ich erwarte auch
     nicht, daß irgend etwas schnell geschieht«, sagte sie. »Das
     tut es nie.«
    »Die meisten Leute
     erwarten ihre Ergebnisse möglichst gestern. Ich weiß Ihre
     Einstellung zu schätzen.«
    Sie gab mir keine Antwort.
    »Wer Ihren Bruder
     besuchen darf, bestimmen die Ärzte der Gesellschaft, weil er in der
     Versuchsstation des Krankenhauses liegt, die der Gesellschaft untersteht.«
    »Das habe ich Ihnen erzählt«,
     sagte sie scharf.
    »Sie haben mir nur
     gesagt, wo er liegt. Sie haben mir nicht gesagt, daß die rechtliche
     Kontrolle bei der Gesellschaft liegt und nicht bei der Verwaltung des
     Krankenhauses.«
    Sie antwortete nicht.
    »Und Sie haben mir
     nicht gesagt, daß er seit sieben Monaten im Koma liegt.«
    »Das spielt für
     mich keine Rolle.«
    »Jedenfalls kann ich
     nicht zu den Ärzten hingehen und sagen, daß er moralische
     Unterstützung braucht.«
    »Aber er könnte
     vielleicht aufwachen. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß er
     aufwacht und niemand bei ihm ist. Und Sie können sicher sein, daß
     sie nicht bei ihm sein wird.«
    »Es besteht eine
     erhebliche Wahrscheinlichkeit, daß er überhaupt nicht mehr
     aufwachen wird, Mrs. Thomas.«
    »Doch, das wird er«,
     sagte sie einfach.
    »Aber die Einschätzung
     der Ärztin scheint in dieser Sache ausschlaggebend zu sein, und im
     Augenblick ist sie entschieden abgeneigt, irgendwelche Besucher
     zuzulassen.«
    »Sie meinen… Sie
     können da nichts machen?«
    »Das habe ich nicht
     gesagt«, erwiderte ich diplomatisch.
    »Und?« Ein
     ledriges Stirnrunzeln.
    »Ich glaube, es gibt
     zwei Wege, die wir einschlagen können. Wenn Ihre Schwägerin
     mitmachen würde, könnten wir durch sie und das rechtliche
     Arrangement, das sie mit der Gesellschaft getroffen hat, einen gewissen
     Druck ausüben.«
    Unverändertes
     Stirnrunzeln.
    »Oder wir könnten
     so viel Ärger machen, daß es für sie leichter wäre,
     Ihnen einen Besuch bei Ihrem Bruder zu erlauben, als sich weiter zu
     widersetzen.«
    »Ärger?«
     fragte sie. Das interessierte sie.
    »Warum sollte Ihr
     Bruder keinen Besuch haben?« Eine rhetorische Frage. »Entweder
     hat er sich bei der Explosion irgendeine ansteckende Krankheit zugezogen,
     oder sie probieren Medikamente an ihm aus, die ihn infektionsanfälliger
     machen.«
    Sie sah mich verständnislos,
     aber aufmerksam an.
    »Wie dem auch sei, man
     hat Ihnen nicht den wirklichen Grund genannt, warum man Sie von ihm fernhält.
     Wir könnten damit drohen, die Presse einzuschalten.« 
    »Die Presse? Sie
     meinen, wir sollen Reporter holen und all das?«
    »Ich glaube nicht, daß
     wir das letzten Endes wirklich tun müßten«, sagte ich,
     »aber wenn wir damit drohen, würden wir zumindest erreichen, daß
     man Ihnen bessere Gründe nennt, warum John keinen Besuch haben darf.«
    Sie dachte darüber nach.
     Die Sache gefiel ihr.
    »Das ist doch schließlich
     der entscheidende Punkt an der ganzen Angelegenheit, nicht wahr, Mrs.
     Thomas? Es kommt einem doch komisch vor, daß es den Ärzten
     nicht gleichgültig ist, ob Sie an seinem Bett sitzen oder nicht. Ich
     habe heute mit zwei Ärzten gesprochen, und sie sagen übereinstimmend,
     daß das keineswegs der allgemein üblichen Praxis entspricht.«
    »Also dann«,
     sagte sie, »tun Sie es.«
    »Ich werde sie
     aufscheuchen. Und ich glaube nicht, daß diese Leute Ihnen ohne einen
     kleinen Anreiz besondere ) Aufmerksamkeit schenken würden.«
    »Tun Sie, was Sie für
     das Beste halten«, sagte sie.
    »Würde es Ihnen
     etwas ausmachen, mir noch ein paar Fragen zu beantworten?«
    »Was für Fragen?«
    »Ich muß sagen,
     ich verstehe nicht, was Ihr Bruder in einem Forschungslabor zu suchen
     hatte.«
    »Oh, er hat dort
     gearbeitet.«
    »Gearbeitet? Ich
     dachte, Sie hätten mir gesagt, er sei Vertreter?«
    »Das ist er auch. Vor
     allem Vertreter. Ich meine, dafür haben sie ihn eingestellt. Aber vor
     ein paar Jahren hat er angefangen, zusätzlich noch ein wenig im Labor
     zu arbeiten. Das war sein Studienfach auf dem College, Chemie. Und als
     sich ihm die Chance bot, ein wenig in diesem Bereich zu arbeiten, hat er
     sofort zugegriffen. Selbst wenn das Überstunden bedeutete und viel
     zusätzliche Arbeit am Abend. Ich weiß das, weil er immer bei
     mir vorbeikam, um nach mir zu sehen, wenn er von der Arbeit nach Hause
     kam. Und wenn er abends arbeiten mußte, kam er her, bevor er ging.
     Er war immer sehr pünktlich.«
    »Das alles ist

Weitere Kostenlose Bücher