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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
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alles vorbereitet, was?« fragte ich.
    »Genau wie Mama, sagen
     alle«, bemerkte sie. »Aber ich glaube nicht, daß das so
     furchtbar schlimm ist, oder findest du es schlimm?«
    »Nein, meine liebe
     Marianne, das tue ich nicht.«
    »Und niemand nennt mich
     heute noch Marianne.«
    »Nein?«
    »Nein. Ich werde Sam
     genannt, von Samson, obwohl mein richtiger Name Meir ist. Also nenn du
     mich auch Sam, ja?« 
    »Mit Vergnügen.«
    »Gut.«
    »Sam?«
    »Ja, Daddy?«
    »Wie alt bist du?«
    »Warum?«
    »Einfach so.«
    »Ich werde demnächst
     achtzehn.«
    »Mein Gott«,
     sagte ich, »mein Gott.«
    *
    Ich ließ sie mit einem
     Buch allein, während ich eine Dusche nahm. Dann ging ich sehr
     vorsichtig von meiner Dusche zum Schlafzimmer, um sie vor den schlimmsten
     Löchern in meinem Bademantel zu schützen. Schließlich war
     sie noch ein Kind.
    »Es ist schön,
     dich hier zu haben, Sam«, sagte ich, nachdem ich mich angezogen
     hatte. »Toll.«
    »Es macht dir nichts
     aus, daß ich früher gekommen bin?«    
    »Ich habe nicht die
     Absicht, meine Augen zu schließen und so zu tun, als wärst du
     noch nicht da. Also, ich rufe jetzt deine Großmutter an, damit sie
     dir ein Bett fertigmacht, und dann fahren wir zu ihr.«   
    »Nein«, sagte
     sie.
    »Wie meinst du das,
     nein?«
    »Ich bin gekommen, um
     mit dir zusammenzusein. Ich werde hier schlafen. Ich habe mir einen
     Schlafack mitgebracht und die teuerste Luftmatratze, die ich mit Trevors
     Geld kaufen konnte. Du lebst einfach so weiter wie immer und schiebst mich
     ein, wo es gerade paßt. Du schläfst in deinem Zimmer, und ich
     werde hier glücklich und zufrieden sein.«
    »Ich bin ja durchaus
     tolerant«, sagte ich, »aber deiner Großmutter wird das
     nicht gefallen.«
    »Sie muß sich
     eben damit abfinden. Mama sagt, ich bin genauso stur wie sie.«
    Der arme Trevor, dachte ich.
     Eine von der Sorte war mehr gewesen, als ich verkraften konnte. Aber ich
     sagte nichts.
    »Und ich möchte
     nicht, daß du einen Job verlierst oder sonst etwas Dummes machst.
     Nicht meinetwegen. Ich habe keine Lust, Sehenswürdigkeiten zu
     besichtigen oder so. Ich bin nicht hergekommen, um mir das langweilige
     alte Indianapolis anzusehen. Ich bin hier, um dich zu sehen. Und ich habe
     Bücher dabei, für den Fall, daß sonst nichts zu tun ist.
     Außerdem werde ich dir nicht auf der Tasche liegen. Ich habe nämlich
     die Taschen voller Geld. Nicht mal mein eigenes, denn Trevor hat mir für
     diese Reise einen ganzen Batzen zugesteckt.«
    »Was soll ich dazu
     sagen?«
    »Am besten gar nichts.«
    Also tat ich es auch nicht.
    *
    Als wir von meiner Mutter zurückkamen,
     war es etwa elf Uhr. Bevor wir ins Haus gingen, sagte Sam: »Arbeitest
     du im Augenblick an irgendeinem Fall?«
    Ich dachte kurz nach. »Ja,
     ich glaube wohl.«
    »Kann ich dir irgendwie
     dabei helfen? Zum Beispiel jemanden im Auge behalten oder so?«
    »Bist du sicher, daß
     du das willst?«
    »Klar. Du hast ja keine
     Ahnung, was für ein Prestige du mir bei Madame Graumier eingebracht
     hast. Das ist die Schule, in die ich gehe, in Bern.«
    »Ich kenne die Schule.
     Ich schreibe Briefe dahin.«
    »Es gibt kein anderes Mädchen
     dort, das einen Privatdetektiv zum Vater hat. Du bist doch Privatdetektiv,
     oder? Ich meine, immer noch?«
    »Ja, immer noch.«
    »Das ist phantastisch.
     Alle anderen haben Väter, die Sachen wie Trevor machen - Banker,
     Geschäftsleute, Showmaster und solche Sachen. Die anderen denken, ich
     habe ein Mordsglück.«
    »Du wirst es erleben«,
     sagte ich.
    »Oh, super.«
    »Aber ich muß darüber
     nachdenken, wieviel ich dir von den Fällen erzählen darf, an
     denen ich arbeite.«
    Sie machte ein langes
     Gesicht.
    »Ich unterliege
     gewissen Sachzwängen. Das Gesetz. Du bist nicht meine Klientin. Du
     bist nicht die Polizei. Ich muß darüber nachdenken.«
    »Ich bin sehr diskret.«
    »Ich muß darüber
     nachdenken.«
    Sie sah mich stirnrunzelnd
     an, aber so ist das eben mit dem Vatersein.

 
    9
    Sam weckte mich schon früh,
     indem sie rücksichtslos laut beim Lesen die Seiten umblätterte.
     Ich bestrafte sie damit, daß ich sie aus dem Haus schickte, um Paßbilder
     machen zu lassen.
    »Aber wozu?«
     fragte sie.
    »Frag nicht«,
     sagte ich.
    Ich nutzte die Zeit, in der
     sie weg war, um aufzuwachen.
    Und um ein wenig zu frühstücken.
     Und einige staubige Formulare auszugraben. Und die Notizen durchzugehen,
     die ich mir nach meinen Gesprächen mit

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