Der stumme Handlungsreisende
mir neu,
Mrs. Thomas.«
»Er ist Vertreter. Das
ist die Abteilung, zu der er gehört, und er arbeitet auch tatsächlich
im Verkauf. Sehr erfolgreich sogar. Er ist ein ausgesprochen talentierter
Junge, mein Bruder. Er kann so ziemlich alles, was er sich vornimmt.«
»Hört sich tatsächlich
so an«, sagte ich. »Ihr Bruder hat also zusätzlich ein bißchen
im Labor gearbeitet. Wissen Sie, um welche Art von Arbeit es sich dabei
gehandelt hat?«
»Nicht genau.
Eigentlich überhaupt nicht. Nein«, sagte sie und sah mich bekümmert
an.
»Tja«, sagte ich
und lehnte mich zurück. Soweit die harte Polsterung das zuließ.
»Er ist ein wunderbarer
Junge«, sagte sie. »Er würde mich auf jeden Fall bei sich
haben wollen.«
Ich nickte.
Dann sagte sie: »Ich
sehe keinen Grund dafür, warum ich nicht an Johns Bett sitzen sollte,
wenn ich das möchte. Sie vielleicht?« Und sie brachte ein paar
Tränen zustande.
Ich wartete, bis der Tränenstrom
versiegt war, dann ging ich.
8
Es war ein paar Minuten vor
sieben, als ich auf meinen Parkplatz unten vor meinem Büro rollte.
Meinem derzeitigen Büro. Mein derzeitiger Parkplatz. Der Parkplatz
lag auf demselben Grund wie mein Haus, also würde er wohl auch
zugebaut werden. Als ich die Treppe hinaufging, bemerkte ich, daß
meine Tür nicht ganz geschlossen war. Die Sache mit der Tür war
eine knifflige Angelegenheit, weil sie noch von meinem letzten Büro
stammte, dem, das ebenfalls abgerissen worden war. Ich hatte die Tür
aus Sentimentalität behalten. Die Schrift auf dem Glas lautet:
»Albert Samson, Privatdetektiv. Immer hereinspaziert.«
Was irgend jemand anscheinend
auch getan hatte.
So eine Zeitungsannonce
bringt’s eben.
Als ich die Tür öffnete,
sah ich ein Mädchen hinter meinem Schreibtisch sitzen. Siebzehn,
achtzehn Jahre alt, mit rötlichem Haar, dunkelbraunen Augen und
Sommersprossen. Irgendwie kam sie mir bekannt vor. Mit zwei Schritten
stand ich im Zimmer und stolperte über einen Rucksack, den ich ganz
bestimmt nicht mitten im Zimmer hatte stehenlassen. Ich hatte ihn
nirgendwo stehenlassen; er gehörte mir nicht.
»Ist das Ihrer, Miss?«
Sie nickte. Dann öffnete
sie die mittlere Schublade meines Schreibtisches. »He, da ist ja
nichts drin«, sagte sie. »Warum ist da nichts drin?«
»Weil ich, wenn ich außerhalb
zu tun habe, das Büro offen lasse, damit sich obdachlose Kinder,
streunende Hunde und gelegentlich vielleicht auch einmal ein Klient hier
ausruhen können. In welche Kategorie fallen Sie?«
Sie lächelte mich an,
bis sie sah, daß ich nicht lächelte. »Ich glaube, ich
falle in keine dieser Kategorien. Nicht wahr?«
»Sehen Sie mal, junge
Dame, es ist heiß. Ich habe einen harten Tag hinter mir…«
Plötzlich stand sie auf.
»Erkennst du mich wirklich nicht?« Es klang enttäuscht.
Ich runzelte die Stirn. Sie
sah tatsächlich ein bißchen aus wie…
»Daddy!« sagte
sie.
»Gott«, sagte
ich. Man muß schon ein weiser Vater sein, um sein eigenes Kind zu
erkennen.
»Aber ich habe dich
erkannt! Und alles, was ich habe, ist ein Bild von dir, das mehr als zwölf
Jahre alt ist.«
»Mein Gott«,
sagte ich, »mein Gott.«
*
Nach einer kleinen Umarmung
brachte ich sie aus der Tristheit meines Büros in die Tristheit
meiner Wohnung. »Ich habe heute erst einen Brief von dir bekommen«,
sagte ich. »Da stand drin…«
»…daß ich
nächste Woche kommen würde. Aber ich kenne dich nur aus Briefen
und von dem, was Mama über dich sagt. Und ich hatte Angst, daß
du wegen meines Besuches nervös würdest. Also habe ich
beschlossen, früher zu kommen, weil ich wollte, daß du
entspannt bist und dir keine Sorgen machst.«
»Ich kann nicht sagen,
daß ich mich im Augenblick besonders entspannt fühle.«
»Nun, dann setz dich
doch hin. Du mußt einen schweren Tag hinter dir haben, wenn du erst
um sieben nach Hause kommst. Ich hole dir ein Bier. Und ich nehme mir auch
eins.«
»Du bist größer
geworden, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe«, sagte ich.
Dann setzte ich mich.
Sie ging an den Kühlschrank;
wir teilten uns die Bierdose, die sie dort fand.
»Wann -?« begann
ich.
»Seit Viertel vor fünf.
Und seit halb sechs warte ich hier auf dich. Ich habe zwischendurch Pause
gemacht und einen Hamburger gegessen, für den Fall, daß du
nicht genug zu essen für mich hast.«
»Du bist wohl immer auf
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