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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
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und Geld der Polizei.«
    »Lassen Sie das meine
     Sorge sein«, sagte ich. »Wir sehen uns um vier.«
    »Sie verlangen auch
     meine Anwesenheit, ja?« sagte er mit wachsender Verzweiflung. Er
     mimte überzeugend das Opfer eines unter progressivem Schwachsinn
     leidenden Verrückten.
    »Nein«, sagte
     ich. »Alles, was wir wollen, ist John Pighee sehen.«
    Nun ja, beinahe alles.
    Sam saß schweigend da,
     während ich die Einzelheiten dieses Gesprächs in meinem
     Notizbuch festhielt.
    »Ich weiß nicht,
     ob Linn wirklich in der Lage ist, ihren Mann zu sehen«, sagte sie
     gerade, als ich mir eine Tasse Kaffee eingoß.
    »Ich habe sie letzte
     Nacht danach gefragt«, sagte ich.
    Sam zuckte mit den Schultern.
     »Kann ich irgend etwas tun?« fragte sie.
    »Ich gehe jetzt«,
     sagte ich. »Du hältst hier die Stellung und kümmerst dich
     um die Kundschaft, ja?«
    »Meinetwegen«,
     sagte sie. Ohne Enthusiasmus.
    »Sieh mal, ich treffe
     mich mit einem Freund von der Polizei. Ich glaube nicht, daß dir das
     besonders gefallen würde.«
    »Nein«, sagte sie
     und rümpfte die Nase.
    Plötzlich fiel mir auf,
     daß sie den ganzen Vormittag lang nicht ein einziges Mal gelächelt
     hatte. »Stimmt etwas nicht?«
    »Ich habe nur darüber
     nachgedacht, ob du auch ganz sicher bist, daß du das Richtige tust.« 
    »Indem ich zur Polizei
     gehe?«
    »Indem du die Dinge so
     vorantreibst.«
    »Ich bringe zumindest
     etwas ins Rollen«, sagte ich.
    »Linn schien letzte
     Nacht so traurig zu sein.«
    »Ach ja?«
    »Hast du das denn nicht
     gemerkt?«
    »Sie war müde.
     Aber sie ist immer müde. Ich dachte allerdings, es ginge ihr langsam
     etwas besser.«
    »Sie ißt überhaupt
     nicht«, sagte Sam.
    »Nein?«
    »Fast nichts.«
    »Hm«, sagte ich
     und griff nach meinem Notizbuch. »Dann füttere sie.« Ich
     ging.
    *
    Um zwanzig nach zehn war ich
     bei Miller. Er schien überrascht zu sein, mich zu sehen.
    »Ich habe doch gesagt,
     daß ich heute käme«, sagte ich.
    »Du mußt tatsächlich
     irgend etwas wollen. Ich dachte schon, daß ich einen Fahndungsbefehl
     rausgeben müßte, um dich hierherzuholen.«
    »Aber ich habe doch
     gesagt…«
    »Was ist das nun für
     eine Sache mit John Pighee?« fragte er.
    Ich war platt. Pighees Namen
     hatte ich ihm nicht genannt.
    »Ich hatte eine kleine
     Unterredung mit Russ Fincastle, ja. Ich habe dich mit ihm
     zusammengebracht. Daher fand ich, daß ich das Recht dazu hätte.
     Du bist also mit einem Burschen beschäftigt, der im Januar einen
     Unfall hatte. Schwere Verletzungen. Große Sache. Kommt in den besten
     Firmen vor.«       
    »Nur wissen die Leute für
     gewöhnlich nicht schon im voraus, daß es passieren wird«,
     sagte ich.
    »Er wußte, daß
     es passieren würde?«
    »Er hat ziemlich ungewöhnliche
     Vorsorge getroffen«, sagte ich und erzählte ihm von dem Vertrag
     und dem Umschlag mit der Aufschrift ›Erst nach meinem Tode öffnen‹.
     »Die gebrauchten Hunderter waren in diesem Umschlag.«
    »Ist er denn für
     tot erklärt worden?« fragte Miller ernst.
    »Nein.«
    Er rieb sich das Gesicht, als
     sei das genau die Antwort gewesen, die er erwartet hatte. »Wie geht
     es dem Burschen jetzt?«
    Ich erzählte es ihm.
    »Ich habe über
     diese gebrauchten Hunderter nachgedacht«, sagte er. »Sie müssen
     nicht unbedingt aus illegalen Quellen stammen. Vielleicht handelt es sich
     einfach um einen etwas unbeholfenen Versuch, die Erbschaftssteuer zu
     umgehen.«
    »Der Bursche war alles
     andere als unbeholfen«, sagte ich. »Und seine finanziellen
     Unterlagen geben keinen Hinweis darauf, wie er eine so gewaltige Summe
     erworben haben könnte. Ich habe alles durchgesehen. Er hat ungefähr
     dreitausend auf seinem Sparbuch, die aus seinen Einnahmen der letzten fünf
     Jahre stammen. Seinen Steuererklärungen nach hätte er kaum mehr
     von seinem Verdienst sparen können, ohne sehr viel spartanischer zu
     leben, als er das getan hat. Also muß er noch ein weiteres Einkommen
     gehabt haben, und zwar in bar und ohne Unterlagen. Es handelt sich um
     einen eindeutigen Fall von Steuerhinterziehung, wenn nicht um Schlimmeres.«
    »Aber du glaubst, es
     steckt noch etwas anderes dahinter?« fragte Miller.
    Ich erzählte ihm von dem
     Besuchsverbot für die Familie von John Pighee, und warum mir das
     Ganze verdächtig erschien.
    »Ich weiß nicht
     recht«, sagte Miller.
    »Ich bringe Linn Pighee
     heute nachmittag um vier ins Krankenhaus. Ich möchte, daß du
    

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