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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
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nicht
     viel darüber, nicht wahr?«    
    Den Rest des Nachmittags
     brachte ich damit zu, meine Notizen über den Fall mit ihr
     durchzugehen.
    *
    Als ich dachte, daß
     Linn eigentlich schon vor zehn Minuten hätte aufgestanden sein
     sollen, sagte ich: »Ist Linn wach?«
    »Nein«, sagte
     Sam. »Wenn ja, hat sie jedenfalls nicht das kleinste Geräusch
     gemacht.«
    »Ich geh’ mal
     nachsehen.«
    Leise öffnete ich die Tür
     zum Schlafzimmer. Linn Pighee lag ganz still da, mit dem Gesicht zur Wand,
     so daß ich nicht sehen konnte, ob sie wach war oder nicht.
    »Linn?« sagte
     ich.
    Sie rührte sich nicht.
    Noch einmal sagte ich ihren
     Namen.
    Sie drehte sich um. Ihre
     Augen waren noch immer geschlossen, aber sie klammerte sich an der
     Bettkante fest. Sie machte merkwürdige Geräusche, atmete zuerst
     schwer und begann dann, leise zu weinen. Undeutlich hörte ich das
     Wort »John«. Einmal, zweimal. Dann drehte sie sich erneut zur
     Wand und war wieder still.
    Ich verließ das Zimmer
     und dachte darüber nach, wieviel Streß sie wohl aushalten
     konnte. Und beschloß, erst Kaffee zu kochen, bevor ich sie endgültig
     aufweckte.
    Ich goß den Kaffee
     gerade in drei Tassen, als die Schlafzimmertür sich öffnete und
     Linn lächelnd ins Zimmer trat.
    »Ich gewöhne mich
     langsam an den Kittel Ihrer Mutter, Mr. Albert«, sagte sie. »Glauben
     Sie, ich kann ihn ihr abkaufen?«
    »Kaum. Aber sie würde
     ihn Ihnen schenken. Etwas Kaffee?«
    »Schrecklich gern«,
     sagte sie und nahm ihre Tasse entgegen. »Wann fahren wir los?«
    »In knapp einer Stunde.«
    »Wissen Sie«,
     sagte sie, »ich habe nichts Passendes anzuziehen.«
    *
    Sie beschloß, ihre Wahl
     unter Sams Kleidern zu treffen statt unter meinen, und als wir um zwanzig
     vor vier die Treppe hinunterstiegen, sahen sie wie Schwestern aus. Auf zu
     einem Spaziergang mit Papa. Linn war weiterhin fröhlich. Erst als wir
     an die Haustür kamen, schauderte sie und fragte: »Wie weit ist
     es bis zum Wagen?«
    »Es ist ein
     Lieferwagen, und er steht um die Ecke.«
    »Könntest du ihn
     nicht herbringen, Daddy?«
    Ich konnte.
    Sam setzte sich auf den Rücksitz
     auf die Kissen, die ich dort liegen hatte. »Ich habe nur selten zwei
     Passagiere gleichzeitig«, sagte ich.
    »Sie sollten meinen
     Wagen holen«, sagte Linn. »Ich wäre sehr glücklich,
     wenn Sie ihn benutzen würden. Er sollte wirklich gefahren werden.«
    Wir schwiegen eine Weile, während
     wir uns langsam dem Krankenhaus näherten.
     Danach sagte Linn: »Ich wette, Dougie macht sich Sorgen um mich. Er
     ist in dieser Hinsicht sehr verantwortungsbewußt, wissen Sie.«
    »Wer ist Dougie?«
     fragte Sam.
    »Das ist der Junge, der
     mir immer meine Medizin gebracht hat, als ich noch in Beech Grove war.«
    »Wie nett von ihm«,
     sagte Sam.
    »Ich bin sicher, daß
     Mrs. Thomas mittlerweile gemerkt hat, daß Sie nicht mehr zu Hause
     sind«, sagte ich. »Wenn er fragt, wird sie ihm schon Bescheid
     sagen.«
    »Das denke ich auch«,
     sagte Linn.
    Ich sah im Rückspiegel,
     wie Sams Gesicht sich in Falten legte. »Wahrscheinlich wird er in
     ein paar Tagen mal bei uns vorbeischauen, und dann können Sie es ihm
     selbst sagen.«
    Linn sagte nichts.
    Ich auch nicht.
    »Dann geht es Ihnen
     bestimmt schon besser«, sagte Sam.
    »Ich gehe nicht wieder
     zurück in dieses Haus«, sagte Linn. »Nicht, nachdem ich
     endlich rausgekommen bin. Nie wieder.«

 
    22
    Walter Weston saß im
     Warteraum der Loftus-Klinik. Er sah uns nicht gleich, als wir hereinkamen;
     er schien zu grübeln.
    »Hallo, Walter«,
     sagte Linn, als wir direkt vor ihm standen. Er schnellte buchstäblich
     in die Höhe. »Linn! Hallo.«
    »Hallo, Walter«,
     sagte sie noch einmal.
    »Du siehst nicht gut
     aus. Setz dich.«
    Sie tat es.
    Er nickte mir zu und sah dann
     zu Sam hinüber. »Wer ist die junge Dame?«
    »Meine Tochter«,
     sagte ich. »Aber sie ist außerdem auch ein Detektivlehrling.
     Familienunternehmen.«
    Weston sagte nichts, strich
     sich nur das Haar aus der Stirn.
    Sam fragte Linn, ob sie sich
     wohl fühle. Sie bejahte, aber ihrer Stimme fehlte die Überzeugungskraft,
     selbst in meinen Ohren.
    »Bringen wir’s
     endlich hinter uns«, sagte Weston. »Wenn wir diese bizarre
     Angelegenheit schon über uns ergehen lassen müssen.«
    »Wir sind noch nicht
     vollzählig«, sagte ich.
    »Nein?«
    »Mein Freund von der
     Polizei wollte eigentlich auch um vier hier sein.«
    »Polizei?« sagte
     er. Aber er

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