Der stumme Handlungsreisende
Dinge gab, in denen herumzustochern ich moralisch kein Recht hatte.
Aber es ist immer verwirrend,
wenn man den Standpunkt des anderen begreift. Die Richtung meines weiteren
Vorgehens stand allerdings bereits fest: Ich würde weitermachen.
Vorsichtig, falls ich damit legitime Teilnehmer einer legitimen Operation
möglicherweise in Gefahr brachte. Aber ich hatte das Recht, meine
eigenen legitimen Fragen weiterzuverfolgen.
Und wenn es persönliche
Konsequenzen nach sich zog, na schön. Und wenn ich anschließend
aus dem Geschäft war, dann war ich eben aus dem Geschäft.
Außerdem war es gar
kein schlechter Zeitpunkt, sich das Geschäft zu vermasseln, da ich
ohnehin bald keine Bleibe mehr haben würde. Ein exzellenter
Zeitpunkt, mir die Lizenz entziehen zu lassen und ein neues Leben
anzufangen. In irgendeiner anderen Stadt zum Beispiel. Vielleicht das
beste, was mir je passiert war. Es hing ganz davon ab, ob man die Zukunft
positiv oder negativ betrachtete.
Ich ging hinüber zur
Rezeption zu einer neuerlichen Konfrontation mit der strengen Wächterin
des Loflus-Portals. Aber alles, was ich von ihr wissen wollte, war der Weg
zur Notaufnahme, und da das bedeutete, daß ich ihre Domäne
verlassen würde, gab sie mir klar und deutlich Auskunft.
Die Notaufnahme lag von der
Loffus-Klinik aus gesehen direkt um die Ecke und hatte eine hotelartige
Auffahrt. Ich sah zu, wie ein Krankenwagen an mir vorüberkreischte
und quietschend in die Einfahrt fuhr. Ein paar Schritte lang zockelte ich
wie ein Anwalt auf Klientenjagd hinter dem Krankenwagen her. Aber bevor
ich das Gebäude betrat, verfiel ich wieder in eine langsamere,
herzschonendere Gangart.
Inzwischen hatte der
Krankenwagen seinen Inhalt bereits ausgespien. Keine Spur von Streß
oder hektischer Aktivität. Also ging ich zum Empfang und sagte:
»Ich möchte gern mit jemandem sprechen.«
Ein Mann sah mich einen
Augenblick lang an, schob mir einen Block hin und sagte: »Schreiben
Sie Ihren Namen hin, Ihre Adresse, Ihren Beruf, hier, hier und hier. Die
Gebühr für die Notfallbehandlung beträgt dreißig
Dollar, zahlbar im voraus. Sie können sie von Ihrer Versicherung,
sofern Sie eine haben, zurückfordern. Dann warten Sie da drüben.«
Er zeigte auf eine Reihe von Stühlen, die zur Hälfte mit Leuten
besetzt waren, die krank aussahen oder irgendwelche Teile ihres Körpers
umklammert hielten.
»Ich möchte keine
Notfallbehandlung.«
»Das hier ist die
Notfallstation«, sagte er. »Zum allgemeinen Eingang müssen
Sie, wenn Sie aus der Tür kommen, links gehen und dann wieder links
um die Ecke, und dann ist es der zweite Eingang links.«
»Ich möchte mit
einem Arzt sprechen«, begann ich.
Er war erst dreißig,
sprach aber mit der Stimme eines Menschen, der nur noch ein Jahr bis zur
Pensionierung hatte und nicht recht wußte, ob er es bis dahin noch
schaffen würde. Dann sagte er: »Füllen Sie das Formular
aus. Bezahlen Sie an der Kasse. Warten Sie bei den Leuten da drüben.«
Ich warf noch einmal einen
Blick auf die wartenden Leute. Keinem von ihnen tropfte das Blut herab.
Ich nahm das Formular, das er mir zum zweiten Mal hingeschoben hatte,
hielt es hoch und zerknüllte es zu einem Ball. »Wenn Sie nicht
auf der Stelle still sind und mir einen Augenblick lang zuhören, dann
sprenge ich das Haus in die Luft - mit einer Bombe, die ich hier drin
habe.« Ich hielt mein Notizbuch hoch; er sah mich mit großäugiger
Ehrfurcht an.
»Was?«
»Ich möchte mit
den Ärzten sprechen, die hier in der Nacht des 27. Januar Dienst
hatten«, sagte ich. »Ich muß ihre Namen wissen.«
»Der 27. Januar?«
fragte er begriffsstutzig.
Ich senkte mein Notizbuch,
und er beugte sich vor, um es im Blick zu behalten. »Wie zum Teufel
soll ich wissen, wer in dieser Nacht Dienst hatte?«
»Sprechen Sie nicht so
laut. Ich bin sehr labil.«
Er sah mir zum ersten Mal in
die Augen. »Tut mir leid«, sagte er.
»Wo sind die Unterlagen
über die Dienstpläne?«
»Ich… ich werde
Ihnen sagen, wie Sie ins Büro kommen.«
»Büro, Büro,
Büro!« sagte ich und riß meine Augen weit auf, damit man
im Weiß meines Augapfels die roten Linien deutlich sehen konnte.
»Ich kann Büros auf den Tod nicht ausstehen.«
»Tut mir leid«,
sagte er lahm. Und warf abermals einen Blick über den Tisch.
»Es ist schon in
Ordnung«, erklärte ich ihm. »Mir ist klar, daß es
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