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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
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Dinge gab, in denen herumzustochern ich moralisch kein Recht hatte.
    Aber es ist immer verwirrend,
     wenn man den Standpunkt des anderen begreift. Die Richtung meines weiteren
     Vorgehens stand allerdings bereits fest: Ich würde weitermachen.
     Vorsichtig, falls ich damit legitime Teilnehmer einer legitimen Operation
     möglicherweise in Gefahr brachte. Aber ich hatte das Recht, meine
     eigenen legitimen Fragen weiterzuverfolgen.
    Und wenn es persönliche
     Konsequenzen nach sich zog, na schön. Und wenn ich anschließend
     aus dem Geschäft war, dann war ich eben aus dem Geschäft.
    Außerdem war es gar
     kein schlechter Zeitpunkt, sich das Geschäft zu vermasseln, da ich
     ohnehin bald keine Bleibe mehr haben würde. Ein exzellenter
     Zeitpunkt, mir die Lizenz entziehen zu lassen und ein neues Leben
     anzufangen. In irgendeiner anderen Stadt zum Beispiel. Vielleicht das
     beste, was mir je passiert war. Es hing ganz davon ab, ob man die Zukunft
     positiv oder negativ betrachtete.
    Ich ging hinüber zur
     Rezeption zu einer neuerlichen Konfrontation mit der strengen Wächterin
     des Loflus-Portals. Aber alles, was ich von ihr wissen wollte, war der Weg
     zur Notaufnahme, und da das bedeutete, daß ich ihre Domäne
     verlassen würde, gab sie mir klar und deutlich Auskunft.
    Die Notaufnahme lag von der
     Loffus-Klinik aus gesehen direkt um die Ecke und hatte eine hotelartige
     Auffahrt. Ich sah zu, wie ein Krankenwagen an mir vorüberkreischte
     und quietschend in die Einfahrt fuhr. Ein paar Schritte lang zockelte ich
     wie ein Anwalt auf Klientenjagd hinter dem Krankenwagen her. Aber bevor
     ich das Gebäude betrat, verfiel ich wieder in eine langsamere,
     herzschonendere Gangart.
    Inzwischen hatte der
     Krankenwagen seinen Inhalt bereits ausgespien. Keine Spur von Streß
     oder hektischer Aktivität. Also ging ich zum Empfang und sagte:
     »Ich möchte gern mit jemandem sprechen.«
    Ein Mann sah mich einen
     Augenblick lang an, schob mir einen Block hin und sagte: »Schreiben
     Sie Ihren Namen hin, Ihre Adresse, Ihren Beruf, hier, hier und hier. Die
     Gebühr für die Notfallbehandlung beträgt dreißig
     Dollar, zahlbar im voraus. Sie können sie von Ihrer Versicherung,
     sofern Sie eine haben, zurückfordern. Dann warten Sie da drüben.«
     Er zeigte auf eine Reihe von Stühlen, die zur Hälfte mit Leuten
     besetzt waren, die krank aussahen oder irgendwelche Teile ihres Körpers
     umklammert hielten.
    »Ich möchte keine
     Notfallbehandlung.«
    »Das hier ist die
     Notfallstation«, sagte er. »Zum allgemeinen Eingang müssen
     Sie, wenn Sie aus der Tür kommen, links gehen und dann wieder links
     um die Ecke, und dann ist es der zweite Eingang links.«
    »Ich möchte mit
     einem Arzt sprechen«, begann ich.
    Er war erst dreißig,
     sprach aber mit der Stimme eines Menschen, der nur noch ein Jahr bis zur
     Pensionierung hatte und nicht recht wußte, ob er es bis dahin noch
     schaffen würde. Dann sagte er: »Füllen Sie das Formular
     aus. Bezahlen Sie an der Kasse. Warten Sie bei den Leuten da drüben.«
    Ich warf noch einmal einen
     Blick auf die wartenden Leute. Keinem von ihnen tropfte das Blut herab.
     Ich nahm das Formular, das er mir zum zweiten Mal hingeschoben hatte,
     hielt es hoch und zerknüllte es zu einem Ball. »Wenn Sie nicht
     auf der Stelle still sind und mir einen Augenblick lang zuhören, dann
     sprenge ich das Haus in die Luft - mit einer Bombe, die ich hier drin
     habe.« Ich hielt mein Notizbuch hoch; er sah mich mit großäugiger
     Ehrfurcht an.
    »Was?«
    »Ich möchte mit
     den Ärzten sprechen, die hier in der Nacht des 27. Januar Dienst
     hatten«, sagte ich. »Ich muß ihre Namen wissen.«
    »Der 27. Januar?«
     fragte er begriffsstutzig.
    Ich senkte mein Notizbuch,
     und er beugte sich vor, um es im Blick zu behalten. »Wie zum Teufel
     soll ich wissen, wer in dieser Nacht Dienst hatte?«
    »Sprechen Sie nicht so
     laut. Ich bin sehr labil.«
    Er sah mir zum ersten Mal in
     die Augen. »Tut mir leid«, sagte er.
    »Wo sind die Unterlagen
     über die Dienstpläne?«
    »Ich… ich werde
     Ihnen sagen, wie Sie ins Büro kommen.«
    »Büro, Büro,
     Büro!« sagte ich und riß meine Augen weit auf, damit man
     im Weiß meines Augapfels die roten Linien deutlich sehen konnte.
     »Ich kann Büros auf den Tod nicht ausstehen.«
    »Tut mir leid«,
     sagte er lahm. Und warf abermals einen Blick über den Tisch.
    »Es ist schon in
     Ordnung«, erklärte ich ihm. »Mir ist klar, daß es
    

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