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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
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fragte Marcia Merom mich.
    »Sehen Sie zu, daß
     Lee Ihnen für die Nacht Quartier gewährt«, sagte ich.
    Sie schien das durchaus für
     einen konstruktiven Vorschlag zu halten.
    * 
    Als ich in mein Wohnzimmer
     kam, spielten Sam und Ray Cribbage und teilten sich eine Tasse heißer
     Schokolade.
    »Oh, Daddy!«
     sagte Sam.
    »Hallo, Mann«,
     sagte Ray.
    »Hallo«, sagte
     ich. »Auf Wiedersehen.«
    »Willst… willst
     du irgend wohin gehen?« fragte Sam.
    »Nein«, sagte
     ich. »Aber du willst.«
    »Ach ja?«
    »Ihr beide wollt«,
     sagte ich.
    »Aber wohin?«
     fragte Sam.
    »Das spielt keine große
     Rolle. Mir ist danach, heute abend alleine zu sein, also müßt
     ihr weg. Vielleicht kannst du ja bei Ray übernachten.«
    »Ma wäre bestimmt
     begeistert«, sagte er. Aber er dachte darüber nach.
    Sam nicht. »Daddy, was
     ist los? Wird etwas passieren?«
    »Ja«, sagte ich.
     »Ihr beide macht euch fertig und verschwindet jetzt. Auf der Stelle.
     Tout de suite. Subito. Wenn Ray dich nicht nach Hause zu seiner Mutter
     mitnehmen will, dann kannst du meiner Mutter auf der Tasche liegen. Oder
     in ein Hotel ziehen. Warum soll ich dich hier unterbringen, wenn dein
     reicher Stiefvater nichts Besseres zu tun hat, als Geld zu verdienen, um
     es dir nachzuwerfen ?«
    »Er verdient es nicht«,
     sagte sie. »Er hat es geerbt.«
    »Ein unmaßgeblicher
     Einwand«, sagte ich. »Und nun los, auf geht’s.«
    »Nicht, bevor du mir
     erzählt hast, was eigentlich los ist«, sagte Sam und mimte die
     Aufsässige.
    »Wenn ihr nicht in
     genau dreißig Sekunden durch diese Tür da marschiert seid, will
     ich deinen Detektivausweis zurückhaben. Und wenn ihr heute abend auch
     nur noch einen Augenblick in der Nähe dieses Büros herumlungert,
     rufe ich deine Mutter an und sage, sie soll kommen und dich nach Hause
     holen.«
    »Du meinst es ernst«,
     sagte sie.
    »Ich meine es ernst.«
     Sie war verletzt. Pech. »Jemand kommt heute abend zu mir zu Besuch«,
     sagte ich. »Und ich möchte dabei keine Gesellschaft haben.«
    »Aha«, sagte Ray.
    »Genau«, sagte
     ich. »Und sie hat keine Lust, noch länger draußen zu
     warten.«
    Widerwillig gab Sam nach.
     »Du wirst mir doch morgen davon erzählen?« sagte sie.
    »Du bist zu jung«,
     sagte Ray.
    »Ich werde dir morgen
     früh davon erzählen«, versprach ich. Und fügte,
     nachdem ich die Tür sorgfältig hinter ihnen verschlossen hatte,
     hinzu: »Wenn es ein Morgen gibt.«
    *
    Die äußere Tür
     von meinem Büro hatte kein Schloß. Seit Ray sich daran zu
     schaffen gemacht hatte, ging sie auch kaum noch zu. Zum ersten Mal
     bedauerte ich das. 
    Ich verschloß die
     Innentür und brachte zwanzig Minuten mit der Zusammenfassung dessen
     zu, was ich wußte, was ich herausgefunden hatte und was ich
     vermutete. Dann versteckte ich meine Notizen in Sams Rucksack und hatte
     das Gefühl, daß die Gerechtigkeit nun einen gewissen Schutz
     genoß. Im Gegensatz zu mir.
    Ich dachte kurz darüber
     nach, ebenfalls das Büro zu verlassen, entschied mich aber dagegen.
     Wenn ich gleich nicht da war, war es zumindest wahrscheinlich, daß
     mein Besucher zurückkam und mich irgendwann doch antraf. Ich wollte,
     daß es passierte, solange Sam außer Haus war.
    Aber ich hatte nicht die
     Absicht, mich ins Bett zu legen und in der Nase zu bohren, bis er kam.
    Ich begann mit einem kleinen
     Möbelarrangement, indem ich meinen bequemen Sessel hinter die Tür
     schob. Dann stellte ich meine Baseballkeule daneben und verlegte ein
     Fernbedienungskabel zu meinem Kassettenrecorder.       
    Ich brauchte nicht viel Zeit.
    Ich glaubte auch nicht, daß
     ich sehr viel Zeit hatte.
    Wenn Seafield erst
     herausgefunden hatte, daß ich mit Marcia Merom getürmt war,
     blieben ihm nur drei Möglichkeiten. Und ich glaubte nicht, daß
     eine der Möglichkeiten darin bestand, daß er in ihrer Wohnung
     warten würde.
    Er hätte direkt zu mir
     kommen können. Er könnte auch in das Loftus-Labor fahren. Er könnte
     mit Leuten wie Rush und Dundree reden.
    Und ich war ziemlich sicher,
     daß selbst die zweite und dritte Möglichkeit ihn letzten Endes
     zu mir führen würden.
    Aber das Bild, das ich mir
     von ihm machte, zeigte ihn als unbesonnenen Menschen. Ich rechnete damit,
     daß er direkt zu mir kommen würde.
    Ich ging zur Treppe und
     blickte hinunter.
    Als ich wieder in meinem Büro
     war, hatte ich einen Geistesblitz und tauchte in meiner Dunkelkammer
     unter, um meinen Elektronenblitz

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