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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
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wußte es
     schon!« jammerte sie und begann zu weinen.
    »Wenn du ihm irgend
     etwas verraten hast«, beharrte Seafield, »zeichne ich nicht
     dafür verantwortlich. Du hast nicht das Recht, solche Entscheidungen
     zu treffen.«
    »Ich habe ihm wirklich
     nichts erzählt«, wimmerte sie. »Er wußte es
     bereits. Ich habe nichts gesagt.«
    Zu mir sagte Seafield nun:
     »Sie sollten jetzt besser gehen.« Er war schon dreißig
     Zentimeter größer als ich, wenn ich stand; wenn ich saß,
     sah es so aus, als hätte ich ein ganzes Gebirge vor mir. 
    »Ich gehe nirgendwohin«,
     sagte ich. »Dr. Merom und ich haben uns gerade unterhalten, als Sie
     dazwischenkamen. Ich weiß nicht, welche persönliche Gewalt Sie
     über sie haben, aber sie scheint Sie zu fürchten. Ich gehe
     nicht, bevor Sie auch gehen.«
    Seafield lächelte zuerst
     nur. »Sie haben es gern grob, wie?« fragte er. »Das mag
     sie. Du hast es doch gerne grob, nicht wahr, Marcy?«
    »Nein!«
    »Ich müßte
     es doch wissen«, tönte Seafield. »Ich müßte es
     wissen.«
    Ich stand auf.
    »Sie sind immer noch zu
     klein«, sagte Seafield.
    Ich fühlte mich wie ein
     Bär, dem man einen Köder vor die Nase hielt. Glücklicherweise
     habe ich einen kleinen geistigen Vorsprung vor einem Bären. Ich trat
     hinter die Couch und griff nach dem Telefon. Während ich wählte,
     machte ich weiter Small talk. »Sie kennen sich ziemlich gut in
     diesem Apartment aus«, sagte ich. »Sie sind schon mal hier
     gewesen, bevor Dr. Merom eingezogen ist, nicht wahr?«
    Die lediglich beiläufige
     Drohung verschwand aus Seafields Zügen, und an ihre Stelle trat etwas
     Bösartiges. »Was soll das heißen?«
    Ich hörte, daß
     jemand am anderen Ende der Leitung den Anruf entgegennahm und hielt den Hörer
     von mir weg, so daß sie eine Chance hatten mitzuhören, als der
     Beamte am Empfang sagte: »Mord und schwerer Raub. Kann ich Ihnen
     helfen?«
    »Lieutenant Miller,
     bitte«, sagte ich.
    Aber es war ein kurzes Gespräch.
     Seafield riß den Telefonanschluß aus der Wand.
    »Nun, nun«, sagte
     ich. Jetzt war er der Bär. Ich sah ihn ungerührt an und grinste
     wie Davy Crockett.
    Er dachte nach, wog Weisheit
     ab gegen seine Vorliebe für das, was er gern mit mir getan hätte.
     Die Weisheit trug den Sieg davon. Er sagte: »Ich warte draußen.
     Ich gebe euch zehn Minuten.« Dann ging er zur Tür, schloß
     sie auf und drehte sich dort noch einmal mit einem häßlichen,
     anzüglichen Grinsen zu uns um. »Sie hat es sowieso nicht gern,
     wenn es länger dauert«, sagte er. Dann schloß er die Tür
     hinter sich.
    Marcia Merom seufzte. Ich
     drehte mich zu ihr um. Sie zeigte nur zum Teil Erleichterung. Der andere
     Teil schien unmißverständlich einer sexuellen Art von
     Bewunderung zu gehören. Mir fiel auf, daß sie nur zugesehen und
     nicht geweint hatte, als Seafield und ich unseren kleinen Showdown hatten.
    Ich verstand nicht genau, was
     in den beiden eigentlich vorgegangen war, warum er sich für zehn
     Minuten zurückzog und warum sie nun zu mir kam. Aber ich hatte einen
     Sieg errungen, wie flüchtig er auch sein mochte, und ich wollte sichergehen, daß
     er sich nicht in einen Pyrrhussieg verwandelte.
    »Kommen Sie«,
     sagte ich zu Marcia Merom. Ich hatte noch ein oder zwei Fragen an sie.
    »Was?« Meine
     Worte hatten den Bann gebrochen.
    »Er ist da draußen.«
     Ich zeigte auf die Wohnungstür. »Also müssen wir Zusehen,
     daß wir hier wegkommen. Durch die Küche.«
    Sie zögerte, aufs neue
     verunsichert.
    Ich versuchte, vernünftig
     zu sein. »Sie können doch nicht unter dieser konstanten
     Bedrohung leben. Sie können nicht hierher zurückkehren, ehe das
     Telefon wieder repariert ist. Es ist Ihr einziger Schutz.«
    Aber Vernunft beeindruckte
     sie nicht. Doktor der Biochemie hin oder her. Sie schaute erst in die eine
     Richtung, dann in die andere.
    Ihr Zaudern machte mich wütend.
     Ich rief: »Bewegen Sie sich!«
    Die Lautstärke
     erschreckte sie, veranlaßte sie jedoch zum Handeln. Mit schnellen
     Schritten ging sie durch die Küchentür, und als sie an mir
     vorbeikam, griff sie nach meiner Hand.

 
    33
    Wir gingen die Hintertreppe
     hinunter und um das Apartmentgebäude herum zu meinem Lieferwagen. Ich
     brauchte nicht lange, um herauszufinden, wie es kam, daß ich in der
     dunklen Augustnacht Hand in Hand mit Marcia Merom ging.
    Aber lange genug. Was mir
     passiert war, mußte schon einer Menge Leute passiert sein, die sie
     kannten.

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