Der stumme Ruf der Nacht
überraschte sie ihn damit, dass sie sich zu ihm herüberbeugte und in die Backe kniff.
»Ich glaube, ich verstehe, warum sie dich mag«, sagte sie und stieg aus.
Er stopfte die Pistole in einen Stiefel und folgte ihr über die Straße und auf dem schmalen gepflasterten Weg zwischen ihrem und dem Nachbarhaus. Sie stöckelte über das Pflaster und öffnete eine Hintertür.
Er trat nach ihr ein und wurde sofort von einem Schwall kalter Luft empfangen. Das Zimmer war dunkel, aber er erkannte, dass es ein Schlafzimmer war. Er erinnerte sich, dass Courtneys Sachen neben einer Couch gestapelt gewesen waren. Wenn sie kein Gästezimmer hatten, musste das Fionas und Jacks Zimmer sein. Fiona öffnete die Tür zum Gang. Um ein Haar wäre sie mit dem frischgebackenen Ehemann zusammengestoßen.
»Hi.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. »Sieh mal, wen ich draußen gefunden habe.«
Will trat in den Gang. Jack betrachtete ihn feindselig.
Fiona drückte Jacks Hand. »Holst du Will bitte ein Bier. Ich muss mich um das Essen kümmern.«
Sie verschwand, und Jack verschränkte die Arme.
»Meine Glückwünsche.« Will streckte ihm die Hand entgegen. Jack zögerte einen Augenblick, ehe er einschlug.
»Möchtest du Bier? Oder Wein?«
»Am liebsten Bier«, antwortete Will. »Oder was es gibt.«
Sie gingen ins Wohnzimmer, wo geredet, gelacht und getrunken wurde. Das Büfett war in Fionas Studio aufgebaut, und über das ganze Haus verteilt standen Vasen mit bunten Blumensträußen. Aus den Lautsprechern erklang entspannter Jazz. Es war eine lässige, fröhliche Party, und Will kam sich ein bisschen deplatziert vor.
Jack reichte ihm ein Glas eiskaltes Bier und verschwand wieder, um sich anderen Gästen zu widmen.
Will machte sich nicht viel aus Partys, und Smalltalk lag ihm nicht. Er nickte ein paar Bekannten von der Polizei in Austin zu und vertiefte sich in die Betrachtung der Gemälde, die im Studio an allen Wänden hingen. Das also waren Fionas Aquarelle und Landschaften. Er erinnerte sich an die Wüstenlandschaft bei Courtney. Als er das Bild zum letzten Mal gesehen hatte, lag es in ihrem Wohnzimmer auf dem Boden. Zerschnitten.
Will sah durch den dünnen Vorhangstoff auf die Terrasse, auf der Fiona und Jack mit ihren Freunden standen.
Er schlenderte in die Küche und stellte sein Glas auf die Ablage neben dem Spülbecken. Anschließend bahnte er sich den Weg durch die Menge und fragte eine Frau nach dem Bad – in einem so kleinen Haus eigentlich
eine überflüssige Frage. Er ging dorthin, schloss die Tür ab und öffnete gleich darauf die zweite Badezimmertür, die ins Schlafzimmer führte. Ohne zu zögern, schritt er zu der Kommode, auf der er beim Eintreten eine Damenhandtasche gesehen hatte. Fionas Handy befand sich darin, und Will scrollte durch die Liste der eingegangenen Anrufe. Lauter Nummern aus Austin. Bis auf eine … ein Ferngespräch aus einem anderen Bundesstaat, und die letzten vier Ziffern der Nummer waren fortlaufend. Das musste eine Telefonzelle sein.
Das musste Courtney gewesen sein.
Kapitel 20
Courtney legte den Kopf in den Nacken, um sich von der Sonne das Gesicht wärmen zu lassen. Der Wind hatte die letzten Wolkenreste des gestrigen Gewitters aus dem Tal geblasen, und nun war der Himmel tiefblau, die Luft klar und frisch.
»Tisch sechs hat nichts mehr zu trinken, C. J.«
Aus ihren Träumen gerissen, sah Courtney Renee gerade noch mit einem Tablett in der Küche verschwinden. Sie warf einen Blick auf Tisch Nummer sechs und sah, dass die Gäste dort wirklich noch was zu trinken brauchten. Sie nahm eine Teekanne vom Büfett und lief damit zu der Terrasse mit Blick auf den Silver Creek Canyon.
Courtney setzte ein freundliches Lächeln auf und goss Tee nach. »Ist bei Ihnen alles in Ordnung?«, fragte sie in dem Ton, den sie von Renee übernommen hatte. »Ich hoffe, Ihnen schmeckt das Essen.« Es macht mir nichts aus, arrogante reiche Schnösel zu bedienen. Manche geben sogar ganz ordentlich Trinkgeld.
»Die Rechnung, bitte!«, sagte der Mann knapp und sah auf die Uhr. »Wann fängt diese Tour an?«
»Halb drei.« Seine Frau schob sich den letzten Bissen ihres Salats mit Diät-Himbeer-Vinaigrette und gebratenem Lachs in den Mund. »Wir haben noch Zeit.«
»Aber nicht, wenn du fährst.«
Die Frau verdrehte die Augen. Courtney tat so, als habe sie nichts gehört, und räumte das Geschirr ab.
»Hoffentlich waren Sie mit Ihrer Forelle zufrieden?«, erkundigte sich Courtney,
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