Der stumme Ruf der Nacht
heutige Datum.
Wieder spähte er in das Haus. Peinlich darauf bedacht, das Fensterglas nicht mit der Hand zu berühren, schirmte er dabei das gleißende Licht ab.
»Dr. Pembry?«, rief er und klopfte wieder.
Sein Blick fiel auf den Boden der Waschkammer, wo vor einem Trockner ein Kleiderhaufen lag. Er sah T-Shirts, Socken, eine zusammengeknüllte Jeans und Handtücher.
»Scheiße«, murmelte er, als er die Handtücher genauer in Augenschein nahm.
Eines davon war mit etwas Dunklem beschmiert. Er wusste augenblicklich womit.
Blut.
Es kostete Will alle Selbstbeherrschung, beim Oak Trail links abzubiegen und Courtney sofort nach Hause zu
bringen. Er sah, dass sie ganz starr dasaß, als er den Wagen parkte.
»Ich will da nicht rein«, flüsterte sie und hielt dabei die Pizzaschachtel auf dem Schoß so fest umklammert, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
»Irgendwann musst du es tun. Besser du machst es gleich, als dass du noch lange wartest. Ich kontrolliere aber vorher alles.«
Ohne ein weiteres Wort öffnete sie die Tür und stieg aus. Er tat es ihr nach und suchte schon beim Aussteigen die Gegend nach Verdächtigem ab. Als sie vor der Haustür standen, drückte sie ihm die Pizzaschachtel in die Hand und bückte sich, um den Schlüssel von ihrem Schnürsenkel zu lösen. Mit einem Schwung stieß sie die Tür auf.
Er trat vor ihr ein. Das Erste, was er wahrnahm, war der Duft aus dem Haarstudio. Vermutlich ihr Parfüm.
Sie schaltete das Licht an und legte die Pizzaschachtel auf ein Beistelltischchen.
»Lass uns gemeinsam durchs Haus gehen und nachsehen, ob was verändert wurde«, schlug er vor.
Er hatte Widerspruch erwartet, aber sie drängte sich an ihm vorbei und ging voraus durch den Gang bis auf die andere Seite des Hauses. Er folgte ihr ins Schlafzimmer und stand dabei, als sie sich umsah.
»Scheint alles okay«, meinte sie. Offenbar überraschte es sie nicht, dass ihre Kosmetika fast den ganzen Ankleidetisch bedeckten und zahlreiche Kleidungsstücke auf dem Bett lagen.
Als sie ein paar Kommodenschubladen öffnete,
wandte er den Blick ab, allerdings erst nachdem er festgestellt hatte, dass sie eine bemerkenswerte Unterwäschesammlung besaß. Er trat vor den offenen Schrank, in dessen Fächern sich die Kleidung stapelte. Darunter stand, säuberlich aufgereiht, eine stattliche Anzahl von Schuhen. Einige davon kannte er bereits.
»Hier ist alles in Ordnung«, verkündete sie.
Nach dem Schlafzimmer überprüfte er das Bad. Dort war der Duschvorhang zurückgezogen und gab den Blick frei auf eine blitzsaubere Badewanne und ein kleines Milchglasfenster. Er inspizierte den Riegel. Etwas rostig, aber stabil.
Als Will sich umdrehte, sah er sie mit verschränkten Armen im Türrahmen stehen. Ohne ein Wort machte sie kehrt und lief in die Küche. Er ging ihr nach, prüfte im Vorbeigehen aber noch die anderen Fenster und die Hintertür. Auch da fiel ihm nichts Ungewöhnliches auf.
»Ich denke, es ist so weit alles okay«, sagte sie in einem Tonfall, der ihm verriet, dass gar nichts okay war.
Will lehnte sich gegen die Theke und nahm sie genauer in Augenschein. Sie sah mitgenommen aus. Und so müde, als hätte sie mehrere Nächte kaum geschlafen. Ihm schien, als kämpfte sie darum, nicht die Fassung zu verlieren.
»Ich muss mich frischmachen.« Sie marschierte einfach an ihm vorbei, blickte dann aber doch noch einmal zurück. »Aber iss ja nicht die ganze Pizza alleine.«
Als sie weg war, stand er in der spärlich beleuchteten Küche und versuchte sich darüber klar zu werden, was
er hier wollte. Er wollte sich einreden, dass das alles mit seinem Fall zu tun hatte, aber das war Quatsch. Er war da, weil er sich um sie sorgte. Um eine Verdächtige. Eine Verdächtige, die, wie er wusste, ihn für sich einnehmen wollte, damit er ihr half. Er glaubte nicht, dass sie Alvin ermordet hatte – vor allem nicht nach dem, was er heute im Park erfahren hatte. Aber er glaubte sehr wohl, dass sie in etwas verstrickt war, das zu Alvins Tod geführt hatte. Und er war überzeugt, dass sie mehr wusste, als sie ihm verriet.
Will ging ins Wohnzimmer und setzte sich auf die Couch. Er hörte die Dusche prasseln und stellte sich Courtney vor, von Kopf bis Fuß eingeschäumt mit Seife oder Duschgel oder was sie auch nahm, um so gut zu riechen. Er stellte sie sich nackt vor – was er in letzter Zeit öfter getan hatte – und unterdrückte den Wunsch, sich gleich zu ihr unter die Dusche zu stellen und sich von ihr so
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