Der stumme Ruf der Nacht
brauchst du nicht. Ich kann mit dem Bus fahren.«
»Ich bin in vierzig Minuten da. Warte drinnen.«
Er legte auf, und Courtney ließ ihr Handy zurück in die Handtasche gleiten.
Jack hatte sie aufmerksam beobachtet. »Hodges?«
»Ja.«
Er runzelte die Stirn. »Bei ihm musst du ein bisschen aufpassen. Er ermittelt gegen dich. Traue ihm nicht zu sehr.«
»Vielen Dank für die Anteilnahme!« Sie wusste nicht, warum sie seine Kommentare störten, aber es war so. Jack kannte Will kaum. Sie hatten sich erst einmal am Abend kurz gesehen.
»Nathan kannst du trauen«, fuhr er unbeirrt fort. »Er ist vor allem ein Freund, dann erst Polizist. Hodges ist noch neu, und da es sein erster Mord ist, will er sich wahrscheinlich beweisen. Pass also auf, was du ihm erzählst.«
Courtney sah auf die Uhr, und Jack verstand den Wink.
»Schließ nach mir ab.« Er schnappte sich seine Schlüssel von der Ablage und stellte die Tasse ins Waschbecken. »Und bleib im Haus, bis du abgeholt wirst.«
Die durch ärztliche Kunst runderneuerte Frau am Empfang telefonierte gerade, als Will am Nachmittag ins Bella Donna kam. Also marschierte er einfach an ihr vorbei ins Studio hinein. Courtney stand an ihrem Arbeitsplatz und ordnete die Bürsten und Kämme in einer Schublade.
»Hi.«
Er sah die Überraschung in ihren Augen, als sich ihre Blicke im Spiegel trafen. »Hi.«
»Ich bräuchte deine Hilfe. Hast du Zeit?«
Sie drehte sich um und verschränkte die Arme. »Ich habe um drei einen Termin.«
»Kannst du ihn absagen?«
»Nein.«
»Kann ihn denn niemand für dich übernehmen?«
Sie musterte ihn kurz. Dann blickte sie mit einem Seufzer auf die Uhr. »Ich schau mal, ob’s geht.«
Sie verschwand in einem Gang und ließ Will allein, umringt von den neugierigen Blicken von Kundinnen in allen Stadien der Haarverwandlung. Ein wenig verlegen inspizierte er Courtneys Arbeitsbereich. Alles war sauber, makellos sogar. Nicht ein einziges Haar lag auf dem Boden. Auch persönliche Gegenstände waren kaum zu sehen. Nur ein Foto steckte unten im Rahmen des Spiegels. Darauf waren Courtney und Fiona zu sehen, die in Jeans und Sweatshirt neben einem Schneemann knieten und in die Kamera grinsten.
»Fertig.«
Er hob den Blick. Courtney hatte den Rucksack geschultert und hielt eine glänzende rote Tasche in der Hand.
Sie verließen das klimatisierte Haarstudio und traten in die schwül-heiße Nachmittagsluft. Auf dem Weg zum Auto blickte er sich prüfend nach allen Seiten um. Courtney legte ihre Taschen auf den Boden und stieg ein. Sie strich ihr weißes Sommerkleid glatt. Zusammen mit dem zum Pferdeschwanz gebundenen Haar sah sie in diesem Fünfziger-Jahre-Outfit ein wenig wie
eine brave Hausfrau aus, doch ihre hochhackigen roten Schuhe ließen Wills Gedanken in eine andere Richtung abschweifen.
»Für den Rest des Tages habe ich frei«, verkündete sie, als er sich ans Steuer setzte. »Ich habe für meine letzten beiden Termine Ersatz gefunden.«
»Wie hast du das gemacht?«
Er fuhr aus der Parklücke, und sie beugte sich nach vorne, um das Radio anzuschalten. »Ich habe gesagt, dass wir heute Abend ein Date haben, du aber nicht mehr so lange warten kannst.«
Er glotzte sie an.
»Jetzt glauben alle, du bist mein neuer Lover.« Sie richtete sich wieder auf und blickte ihn an. »Was? Soll ich etwa sagen, du bist beim Morddezernat und ermittelst gegen mich? Sonst noch Wünsche!«
Will bog links ab und fädelte in den Nachmittagsverkehr ein. Erneut schielte sie zu ihm rüber und lachte.
»Was ist?«, wollte er wissen.
»Nichts.«
»Warum lachst du?«
»Na ja, meine Chefin hat mir erst nicht geglaubt. Sie meinte, du bist gar nicht mein Typ. Also habe ich ihr geflüstert, dass du wirklich prima im Bett bist.«
Will knirschte mit den Zähnen.
»Sie hat mir so ein erotisches Massageöl empfohlen. Wenn es dich also überkommt …«
»Herrgott, Courtney!«
»Ist doch nur Spaß. Meine Güte, bist du streng. Wohin fahren wir überhaupt?«
»Zu einer Autowäsche?«
Sie sah aus dem Fenster. »Ah, das ist ja spannend. Warum brauchst du mich dazu?«
»Ich will dir was zeigen. Aber bis wir da sind, könntest du das da mal durchschauen.« Will griff hinter sich und hob vom Boden des Rücksitzes einen Umschlag auf. Darin waren mehrere Fotokopien von Polizeibildern und Führerscheinfotos. Darunter auch das Foto auf dem Führerschein des Joggers im Zilker Park und ein Polizeifoto von Alvins ehemaligem Schwager, der bereits einen Eintrag ins
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