Der stumme Ruf der Nacht
als sie sich den Weg durch die Leute bahnten. Anscheinend war sie eine Mischung aus Lausbub und Prinzessin. Sie rannte beinahe, bis sie zum Abschnitt 119 kamen.
»Hier entlang«, sagte er und stieg vor ihr ein paar Stufen hinab bis zu ihrer Reihe. Sie saßen zwar relativ weit oben, hatten aber einen guten Blick auf das Infield,
in dem sich Werfer und Schlagmann schon gegenüberstanden. Courtney entdeckte ihre Plätze und schlängelte sich mit ihren engen Jeans an den anderen Zuschauern vorbei.
»Fantastisch.« Sie ließ sich auf den Sitz fallen und strahlte ihn an. »Ich fasse es nicht, dass wir so tolle Plätze haben.«
Will setzte sich neben sie, ohne sich allzu sehr daran zu stören, dass sie sich ein wenig aneinanderquetschen mussten. Er war entspannter, da er nun nicht mehr im Dienst war. Zudem wirkte Courtney eher wie eine Freundin als eine Verdächtige, gegen die er ermittelte.
Doch wegen dieser Ermittlungen hatte er sie eingeladen. Wie ein Stich durchzuckte ihn das Schuldgefühl. Es war nicht ganz fair, sie hierher mitzunehmen, nur um sie anzuzapfen. Aber die Leute fassten Vertrauen und wurden gesprächig, wenn sie sich wohlfühlten. Und für Will war ein Baseball-Stadion der beste Ort, um sich wohlzufühlen.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Nichts. Warum?«
»Du hast die Stirn gerunzelt.« Sie tätschelte sein Knie. »Entspann dich. Du hast frei. Wann war denn dein letzter freier Tag?«
Seit er im Morddezernat war, hatte er überhaupt keinen Tag frei gehabt. Er hatte sogar kaum eine Nacht durchgeschlafen. Aber als er diesen Job übernommen hatte, wollte er auch zeigen, wozu er fähig war.
»Ich lade dich auf ein Bier ein.« Sie stand auf und winkte einem Verkäufer. »Immerhin hast du die Karten besorgt.«
Will fiel auf, dass der Bierverkäufer mehreren Leuten auf die Füße trat, um möglichst schnell zu Courtney zu kommen. Er zog das Gemurre der hinteren Reihen nach sich, bis er vor ihnen stand, Courtney den Zwanzig-Dollar-Schein wechselte und dabei in ihre Bluse spitzte.
Sie setzte sich wieder und reichte Will einen Becher mit schaumgekröntem Bier. »Prost«, sagte sie vergnügt. »Ich bin schon seit Ewigkeiten bei keinem Spiel mehr gewesen.«
»Bist du früher oft ins Stadion gegangen?«
»Ab und zu.« Sie schlürfte am Schaum. »In L. A. war ich mal mit einem Angels-Fan zusammen. Der hatte Jahreskarten.«
Will sah auf das Spielfeld. Das war eigentlich kein Thema, über das er sprechen wollte.
Nun kam der beste Werfer von Round Rock Express aufs Feld.
»Der Bursche ist richtig gut«, rief er. »Schau dir mal an, mit was für einem Effet er den Ball wirft.«
Die nächsten Würfe verfolgten sie, ohne miteinander zu reden. Offenbar musste sie nicht jedes Schweigen füllen. Das fand er angenehm. Ganz anders als die Hitze, die auch am Abend noch drückend war.
Will sah zu Courtney hinüber. Die Sonne ließ das Rotbraun ihres Haars schimmern. Auf ihrem Dekolletee glänzte ein feiner Schweißfilm, und er fragte sich, ob ihre Bluse ruiniert war, weil er ihr nicht erlaubt hatte, sich noch umzuziehen.
Die Oklahoma RedHawks machten drei Punkte, und durch das Publikum ging ein Raunen. Courtney schob
sich das Haar in den Nacken und band den ganzen Schopf zu einem Knoten.
»Es kühlt bald ab«, sagte er mit Blick zum Himmel. »Ich wette, wenn die Sonne weg ist, sind es gleich ein paar Grad weniger.«
Sie nahm den Blick vom Spielfeld und lächelte ihn an. »Ich finde Hitze nicht so schlimm. Und hier geht ja sogar ein bisschen Wind.«
Er merkte, wie sie immer zutraulicher wurde, und wieder fühlte er sich schuldig. Es schien nicht der rechte Moment, um auf den Fall zu sprechen zu kommen. Er beschloss, nach ihrer Familie zu fragen.
»Ihr scheint euch sehr nahezustehen, Fiona und du?«
Sie sah ihn kurz an, bevor sie ihre Augen wieder auf das Spiel richtete. »Ich denke schon.«
»Ihr kommt also miteinander aus?«
Sie schnaubte. »Wir würden füreinander durchs Feuer gehen.«
»Ja, klar. Aber versteht ihr euch auch gut?«
Nun sah sie ihn aufmerksam an. »Manchmal. Aber nicht immer. Wir sind ziemlich verschieden.«
Er nippte an seinem Bier. Eiskalt. Genau so wie es bei der Hitze sein sollte.
Nun wandte sie sich an ihn. »Hast du Geschwister?«
»Zwei Brüder.«
»Und steht ihr euch nahe?«
»Ach, eigentlich nicht. In den letzten Jahren habe ich sie nur selten gesehen. Beide sind noch Soldaten.«
Sie hob beide Brauen. »Seid ihr alle bei der Army?«
»Waren. Mein Vater ist inzwischen in
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