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Der stumme Ruf der Nacht

Titel: Der stumme Ruf der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Griffin
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der Hand. Niemand achtete auf die anderen, alle hasteten zur Arbeit. Mit lautem Zischen kamen Busse zum Stehen und ließen die Passagiere ein- und aussteigen. Fahrräder flitzten vorbei. Straßenlärm drang zu ihr herein, als nach und nach gesundheitsbewusste Austiner in die Bar kamen und frisch gepresste Säfte oder Gemüse-Shakes mit einem Spritzer Weizengrassaft bestellten.
    Überall um sie herum waren Menschen, doch noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so allein gefühlt.

    Sie dachte an Wills Hände. Sie waren groß und kräftig und hatten auch Schwielen, vermutlich vom Gewichtestemmen. Und sie hatten Narben. Andererseits waren sie auch warm und sanft, und sie erinnerte sich, wie es sich angefühlt hatte, als sie zärtlich über ihre Haut glitten. Die Erinnerung daran erregte sie, und sie biss sich auf die Zunge.
    Vielleicht sollte sie doch bleiben.
    Eine Frau in einem alten weißen Pontiac hielt mit heruntergekurbelten Fenstern vor einer Ampel. Courtney musste an einen anderen Pontiac denken. Das war vor vielen Jahren gewesen.
    Doch sah sie ihn noch wie heute vor sich. Wie er in der Auffahrt zu ihrem Haus stand, nur ein paar Wochen nach der Beerdigung ihres Vaters. Fiona hielt ihre Katze, Twix, im Arm und weinte, während ihre Mutter im Wagen Kartons und Koffer verstaute. Es war Zeit, sich aufzumachen, neu anzufangen, und dort, wo sie hinzogen, waren keine Haustiere erlaubt. Fiona hatte gebettelt und geschluchzt, aber ihre Mutter hatte darauf beharrt. Twix musste bei Großvater bleiben.
    Ihre Mutter hatte recht gehabt. In dem schäbigen Apartment in North Hollywood, das ihr neues Zuhause wurde, durften weder Katzen noch Hunde, ja nicht einmal Vögel gehalten werden. Es war das erste einer Reihe schäbiger Apartments gewesen, in denen Haustiere verboten waren. Und es war die erste von vielen weiteren Stationen auf dem tränenreichen Weg der Selbstzerstörung ihrer Mutter.
    Courtney sah dem Pontiac hinterher. Blieb die Frage,
ob sie gerade eine Riesendummheit beging. Musste sie wirklich davonlaufen?
    Vor ihr auf dem Tisch vibrierte das Handy. Sie sah auf das Display, um sicherzugehen, dass es nicht schon wieder Will war. In den letzten zwei Stunden hatte sie drei Anrufe von ihm nicht angenommen.
    Aber es war Alex.
    »Okay, Phase eins ist beendet. Bist du zu Hause?«
    »Ich bin nicht nach Hause gegangen. Ich konnte -« Courtney unterbrach sich. Wie sollte sie diese Vorahnung erklären, die sie überfallen hatte, als sie in ihre Straße eingebogen war? »Irgendetwas schien nicht in Ordnung, also bin ich einfach weitergefahren. Ich muss mit dem auskommen, was ich bei mir habe.«
    »Gut, dann vergisst du die Sachen am besten. Jetzt beginnt Phase zwei.«
    Sie rief sich die drei Phasen, die Alex ihr gestern im Büro beschrieben hatte, wieder ins Gedächtnis: Falschinformation, Desinformation und Neuinformation. Courtney hatte erwartet, dass auch das Annehmen einer falschen Identität dazugehörte, aber Alex hatte es ihr ausgeredet. Zum einen war es verboten, eine neue Identität zu kaufen, und zum zweiten könnte sich die als noch schlimmer für sie herausstellen als ihre jetzige. Besser, man behielt seine eigene Identität und verschwand nur ein wenig von der Bildfläche.
    »Ich lasse dich nach Tennessee fahren«, sagte Alex.
    »In Ordnung.«
    »Für einige Rechnungen gibt es einen Nachsendeantrag an eine Postfachadresse in Nashville, die einem Freund von mir gehört.«

    »Wird meine Post denn dort ankommen?«
    »Darauf kommt es nicht an. Wir legen doch nur eine Spur.«
    »Ach so.« Courtneys Magen krampfte sich zusammen. Sie tat es wirklich. Sie tauchte unter. Sie verließ ihren Job und ihre Schwester. Und Will -
    »Du klingst so zögerlich. Bist du sicher, dass du das tun willst?«
    Courtney dachte an Will. Sie dachte an das Gesicht, das er gemacht hatte, als er ihr gestern Abend die Tasche von der Schulter gezogen und sie gebeten hatte zu bleiben. In ihrer Vorstellung sagte er nun genau dasselbe, immer und immer wieder.
    Sie konnte hierbleiben. Sie musste sich nicht so verhalten wie ihre Mutter. Die war Problemen immer ausgewichen und von einem Ort zum anderen gezogen in dem vergeblichen Versuch, vor sich selber wegzulaufen.
    »Courtney?«
    Ein blankpolierter schwarzer Escalade rollte am Bella Donna vorbei und bog in einen nahen Parkplatz.
    Sie bekam weiche Knie.
    »Courtney! Bist du noch da?«
    »Sie sind auf der anderen Straßenseite. Beim Haarstudio.« Ihr Mund wurde trocken, und sie rutschte vom Stuhl,

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