Der Sturm
los ist? Debbie ist auch verschwunden!«
Debbie?
»Weißt du was, es geht mir am Arsch vorbei, was mit Debbie passiert, verstehst du!«
Das Schweigen danach war unerträglich und Chris zwang sich, laut aufzutreten, um es zu übertönen. Aus dem Gefühl der Angst, das er beim Betreten des Apartments empfunden hatte, entwickelte sich nun in Lichtgeschwindigkeit ein Gefühl, für das der Begriff Panik nichts anderes war als eine abgedroschene Phrase.
Er setzte sich für einen Moment aufs Bett. Unvermittelt stieg ihm der Geruch von Julias Parfüm in die Nase.
Er atmete einmal tief ein und wieder aus. Okay, er musste die Ruhe bewahren. Es musste einen Grund geben, weshalb Julia das Apartment verlassen hatte. Sie hatte geschworen, niemandem zu öffnen außer ihm, Rose und...
»Wo ist Benjamin?«
»Er sucht nach ihnen!«
»Wo? Wo will der gottverdammte Idiot denn nach ihnen suchen?«
Dieses Gebäude, das hatte Chris heute gelernt, war so etwas wie ein Moloch. Es verschluckte Menschen einfach.
»Hör zu, Chris, Benjamin...«
»Dieses Riesenarschloch. Er hätte hierbleiben sollen. Stattdessen rennt er jetzt durch dieses Labyrinth von Gebäude und sucht sie? He, sie können überall sein! Und ich wette, das alles ist Debbies Schuld. Wenn Julia etwas passiert, mache ich sie fertig. Debbie und Benjamin. Alle beide.«
»Chris! Hör mir doch mal zu!«
Chris deutete auf Ike. »Und ich knall den Scheißhund ab! Ich knall ihn ab! Seinetwegen haben wir uns nicht um das Wichtige gekümmert!«
Chris wusste, dass er sich beherrschen, sich zusammenreißen musste. Er konnte sich in diesem Moment selbst nicht ertragen. Aber es war nun mal einfacher, Debbie, diese Irre, oder Benjamin, diesen Idioten, verantwortlich zu machen. In der Verzweiflung, in der er sich befand, war das ein echter Lichtschimmer. Ein Strahl der Hoffnung.
Und es tat auch gut zu sehen, wie alle Farbe aus Rose’ schönem Gesicht wich, wie sie blass wurde. So richtig scheißblass, als ob irgendjemand ihr alles Blut aus den Adern saugte. Gegen die Macht der Angst war ein Vampir nicht schlimmer als eine mickrige Zecke.
»Sie müssen im Gebäude sein, Chris«, sagte Rose mit flatternder Stimme. »Sie können nicht weit sein. Und Benjamin ist runter ins Büro der Security...«
»Nein«, stieß Chris zwischen den Zähnen hervor. »Weit können sie nicht sein. Aber tot!«
»Tot?«
Chris sah, wie das Entsetzen, das er selbst empfand, sich in Rose’ ebenmäßigem Gesicht spiegelte, wie sie die Augen erschreckt aufriss, wie ihr Mund sich öffnete, als wollte sie schreien. Binnen Sekunden brach er wieder in Schweiß aus.
»Tot?«, wiederholte Rose. »Chris! Weißt du, was du da sagst?«
Er holte tief Luft, hob die Hand, zwang sich zur Ruhe.
»Hör zu, Rose. Irgendjemand ist hier im Gebäude, der gefährlich ist. Ted Baker, der Wachmann, er liegt im Keller und... jemand hat ihn erschossen, verstehst du mich?«
»Aber das kann doch nicht sein!« Sie schüttelte den Kopf.
Chris wusste, dass Rose nicht wirklich verstand, was er ihr zu sagen versuchte. Aber vermutlich konnte man es auch nur begreifen, wenn man die Bilder selbst gesehen hatte. All die bruchstückhaften Einzelheiten, die nun wieder in seinem Kopf auftauchten, der Geruch, das Blut an seinen Händen, der blank polierte Schuh unter dem Duschvorhang . . . und dann der Mann selbst, wie er in dem Duschbecken lag.
Er durfte einfach nicht daran denken.
Chris hob die Hände. »Hör zu, Rose. Es ist wirklich passiert, verstehst du. Ich habe es gesehen und Benjamin auch, aber jetzt, jetzt müssen wir Julia suchen. Sie weiß nichts davon, weil...«
Weil er es ihr verschwiegen hatte.
Manchmal war die Wahrheit besser, mochte sie auch noch so grausam sein.
»Aber es sind doch alle weg, oder?«, rief Rose. »Außer uns ist niemand hier, bis auf...«Sie runzelte die Stirn. »Mason! Dieser Wachmann, er ist auch hier oben. Denkst du...«
»Ich habe keine Ahnung«, unterbrach sie Chris. »Aber noch jemand ist hier oben außer Steve Mason... Professor Brandon.«
»Brandon? Bist du sicher, Chris?«
»Ja, ich komme gerade aus seinem Haus. Er ist nicht weggefahren und weißt du, was ich in seinem Haus gefunden habe, Rose? Super-8-Filme. Alt und verstaubt. So wie der, den wir uns heute angesehen haben.«
»Du glaubst doch nicht tatsächlich, dass Professor Brandon diesen Wachmann umgebracht hat? Welchen Grund hätte er dafür? Oder warum sollte er Julia oder Debbie etwas antun? Das ist absurd, Chris, auch nur so
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