Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
Vom Netzwerk:
zu verschaffen, war, einfach loszubrüllen: »Versteht ihr das? Diese Fotos, die Filme, der Berg! Ich verstehe es nicht! Ich verstehe es einfach nicht.« Er riss die Arme nach oben. »Was, verflucht noch mal, hat Julia damit zu tun?«
    Sie starrten ihn an. Ja begriffen sie den Zusammenhang nicht?
    »Wie kommst du auf die Idee, dass es mit ihr etwas zu tun hat?«, entgegnete Benjamin. »Sie hat doch nie irgendetwas darüber gesagt.«
    Das war es ja eben. Sie hatte nie etwas gesagt.
    »Keine Ahnung!« Chris rannte im Flur auf und ab. »Die Art, wie sie auf den Film reagiert hat. Das war nicht normal! Und irgendetwas ist da an ihr... dass ich das Gefühl habe, sie weiß etwas und erzählt es mir nicht.«
    Er brach ab. Ihm wurde plötzlich bewusst, dass Julia dasselbe von ihm sagen könnte.
    Ben schüttelte den Kopf. »Es kann doch nicht alles immer auf diese verdammte Gruppe hinauslaufen, oder?«, sagte er.
    Chris hörte bereits nicht mehr zu. Er spürte wieder das Handy an seinem Oberschenkel vibrieren und dann ertönte die Melodie von High Noon.
    Chris zerrte es heraus. Sein Finger lag schon auf der Taste, als er zögerte.
    Eine ihm unbekannte Nummer.
    Normalerweise wäre er nicht drangegangen, aber in diesem Meer von Unsicherheit und Verzweiflung erschien ihm jeder Anruf wie ein Rettungsanker. Er nahm den Anruf entgegen und sein Herz hämmerte so heftig, dass er kaum etwas verstand.
    »Chris?«
    Und noch einmal – lauter: »Chris!«
    Was er verstand, war weniger sein Name als der Ausdruck von Angst, die in der ihm in den letzten Monaten so vertraut gewordenen Stimme lag.
    Julia.
    »Chris, hörst du mich?«
    Julias Stimme hallte unnatürlich laut und dumpf, als käme sie von irgendwo weit her, als ob es Minuten dauerte, bis ihre Worte ihn erreichten.
    »Julia, wo bist du?« Er konnte nicht lauter sprechen.
    »Du musst kommen!« Sie schrie nun, als müsse sie ihn noch überzeugen, dass es um Leben oder Tod ging.
    Seine Augen suchten sich einen Ruhepunkt. Er starrte auf das Foto in Benjamins Hand. Einfach einen Punkt, an dem er sich festhalten konnten. Alpha und Omega. Anfang und Ende. Zwischen diesem Foto und dem Ort, an dem Julia sich jetzt befand, gab es eine Linie, eine Verbindung. Daran musste er glauben, daran musste sich sein Verstand klammern. Nur so war es ihm möglich, ruhig und klar zu denken.
    »Sag mir, was passiert ist!«
    »Er...er hält uns hier fest! Wenn ich nicht tue, was er sagt, dann tötet er sie...er tötet Debbie. Er hat es gesagt und ich glaube ihm.«
    »Wo bist du?«
    Für einen Moment schien die Verbindung unterbrochen. Er fluchte leise. Nicht überall auf dem Collegegelände hatte man gleichmäßig guten Empfang. Dazu der Sturm. Das Netz war überlastet, teilweise womöglich ausgefallen.
    »Julia, hörst du mich?«
    »Was ist los?«, hörte er Rose flüstern.
    Chris schüttelte den Kopf, hob die Hand, als er wieder Julias Stimme vernahm.
    »Er...ist vollkommen . . .« Ihre letzten Worte endeten in einer Art Stottern: »ver – rückt – ge – wor – den.«
    Dann hörten auch diese Geräusche so abrupt auf, dass er dachte, die Verbindung wäre abgerissen. Er nahm das Handy vom Ohr und sah auf das grünlich schimmernde Display.
    Der Empfang wurde schwächer!
    »Wo, Julia, wo seid ihr?«
    Er riss den Apparat hoch. Gerade noch rechtzeitig, um die letzten Worte zu verstehen, bevor die Kakofonie aus Wind-und Störgeräuschen wieder einsetzte.
    »Schwimmhalle. Wir sind in der Schwimmhalle. Komm alleine!«
    Der Rest des Satzes ging wieder in einem knarrenden Störgeräusch unter.
    Das Gespräch war beendet. Die Verbindung abgebrochen und Chris spürte, dass die Nachricht, die er soeben erhalten hatte, wie eine Art Stoppuhr war, die rückwärts zählte.
    Und dabei kannte er noch nicht einmal den Zeitrahmen.

27. Kapitel
    C hris erklärte Rose und Benjamin in kurzen Worten, was Julia gesagt hatte. Und während er sprach, hörte er die antike Wanduhr in Professor Brandons Arbeitszimmer ticken, als sei Zeit das Einzige, was der Verwüstung standgehalten hatte. Seine Nerven spannten sich mit jedem scharfen, kleinen Klick, mit dem der Sekundenzeiger vorwärtsrückte. Chris, den ganzen Tag über mit dem Lärmen des Windes und dem wirbelnden Schnee konfrontiert, begriff nur langsam, was das bedeutete. Der Sturm hatte nachgelassen. Und dieses leise Ticken, das nie aufhörte, erinnerte ihn an Morsezeichen, die ihm immer nur dieselbe Botschaft schickten: Keine Zeit verlieren! Keine Zeit verlieren!
    »Hört

Weitere Kostenlose Bücher