Der Sucher (German Edition)
kennen gelernt hatten, und es war, als wären seit damals keine zwei Winter vergangen. Ich wusste noch genau, wie ihr Gesicht sich anfühlte, wie zart ihre Haut war und wie seidig ihr kurzes blondes Haar ...
Joelle schien auch gerade an damals zu denken. »Immerhin ... nett, dass wir jetzt miteinander reden können und du gerade nicht blind oder stumm bist ...«
»Ach, wir kamen doch prima zurecht«, behauptete ich, damit ich noch einmal dieses umwerfende Lächeln zu sehen bekam. Es klappte – einen kurzen Moment lang. Dann meinte sie: »Nur schade, dass wir uns nicht wieder gesehen haben.«
»Ich wollte dich besuchen ... aber du warst weggezogen«, sagte ich verlegen und erinnerte mich daran, wie ich zuerst wochenlang gehofft hatte, irgendwo ihre Stimme zu hören. Und wie ich dann, als ich endlich ihren Namen erfahren hatte, viel zu spät versucht hatte, sie ausfindig zu machen. Nein, das alles würde ich ihr auf keinen Fall erzählen!
Joelle blickte mich nicht an. »Meine Eltern ziehen alle paar Monate um ... Das macht‘s schwierig, Freunde zu finden.«
»Hast du deswegen meine Nachricht nicht beantwortet?«
»Was für eine Nachricht?« Mit gerunzelter Stirn blickte sie mich an. »Du hast mir noch eine zweite geschickt? Verdammt, die hat wahrscheinlich mein Vater abgefangen. Er hätte mir am liebsten verboten, mich mit Jungen zu treffen.«
Ich schickte einen lautlosen Fluch an die Adresse dieses Vaters. »Als was arbeitet er eigentlich? Und was hast du gelernt? Ich habe damals ganz vergessen, dich zu fragen.«
»Mein Vater ist Bootsbauer. Aber inzwischen arbeitet er meistens als Resteräumer.« Sie sagte es trotzig und schien auf einen Kommentar zu warten. Aber ich nickte nur. Resteräumer sammeln Abfall in den Siedlungen ein und bringen ihn in spezielle Tümpel, wo der Krempel wiederverwertet oder versenkt wird. Es ist kein angesehener Beruf, aber ich finde nichts Schlimmes daran.
»Ich habe Töpfern und Schilfflechten gelernt«, fuhr Joelle ohne Begeisterung fort. »Gefäße, Körbe, Teller, Schüsseln und so weiter. Was eben so gebraucht wird. Aber ein Boot bauen, könnte ich bestimmt auch, ich habe meinem Vater früher oft genug geholfen.«
»Hast du Geschwister?«
»Jede Menge. Sechs. Ich bin die Zweitälteste.«
»Hui. Klingt nach einer Menge Arbeit.«
»Nicht nur für meine Mutter, das kann ich dir sagen!« Joelle verzog das Gesicht. »Ich musste ständig meine jüngeren Geschwister hüten, die zwei jüngsten habe ich eigentlich komplett selbst aufgezogen.«
Merwyn kam mit einem Teller vorbei, deutete mit dem Kinn auf den Topf und setzte sich ein Stück von uns weg, um zu essen. Er schlang seine Portion hinunter wie ein Skagarok seine Beute – wenn ich nicht gewusst hätte, dass er aus einem reichen Elternhaus stammte, hätte ich es an seinen Manieren jedenfalls nicht gemerkt!
Joelle machte sich schnell und geschickt daran, aus Steinen und Ästen eine Schutzhütte für uns zu bauen. Staunend sahen wir zu, was für einen Palast sie uns in kürzester Zeit hinstellte. Eins stand fest: Wenn es darum ging, mit den Händen zu arbeiten, war sie mit Abstand am besten von uns.
Als die Sonne sank, losten wir darum, wer welche Wache übernehmen musste. Joelle bekam die erste, ich die dritte. Joelle setzte sich mit gezogenem Messer an den Rand des Lagers. Ich spürte, dass sie angespannt war. Mir ging es nicht anders. Wann jagten eigentlich die Tass, diese Feuer speienden Reptilien? Hatte Udiko nicht auch etwas von Skorpionkatzen erzählt, vor denen ich mich in Acht nehmen sollte? Gab es Schlangen? Bestimmt ...
Erschöpft rollte ich mich unter der Schutzhütte in meine Decke; die Tunika behielt ich gleich an. Der Boden erwies sich als furchtbar hart, und ich wusste, dass ich morgen blaue Flecken haben würde – wie hielten es die anderen Gilden nur aus, an Land zu leben, auf einer derart unnachgiebigen Oberfläche?
Nicht nur, weil meine Füße schmerzten, brauchte ich lange, um einzuschlafen. Was, wenn ich morgen nicht mithalten konnte? Ich malte mir aus, wie mich die beiden anderen zurücklassen würden und ich wieder nach Vanamee humpeln müsste. Könnte ich Udiko je wieder unter die Augen treten, wenn ich dermaßen versagte?
Und was war mit meinem geheimen Auftrag, der silbernen Schale? Ujuna hatte mir einen Hinweis gegeben, eine erste Spur – in einem Feuer-Gilden-Ort namens Roar lebte eine Enkelin des Mannes, der damals die Schale gestohlen hatte. Fyona Nell lautete ihr Name. Hier mit meiner
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