Der Südstern oder Das Land der Diamanten
seinem Königssessel aufrichtend, fort, und die Götter beschützen ihn! Erst vor einem Monat haben sie ihm Pharamond Barthès mit wackeren Kriegern und Gewehren gesendet, ihm zu helfen, seine Gegner zu überwinden. Deshalb soll, wenn Pharamond Barthès darauf besteht, jener Diener seinem Herrn heil und gesund wiedergegeben werden.
– Und wo befindet er sich jetzt? fragte der Jäger.
– In der heiligen Grotte, wo er Tag und Nacht bewacht wird,« antwortete Tonaïa mit der Feierlichkeit, welche einem der mächtigsten Herrscher des ganzen Kaffernlandes zukam.
Pharamond Barthès beeilte sich, Cyprien diese Antwort mitzutheilen, und erbat sich vom Könige die Begünstigung, mit seinem Freunde nach der bezeichneten Grotte zur Aufsuchung des Gefangenen gehen zu dürfen.
Bei diesen Worten erhob sich aber ein mißbilligendes Gemurmel in der Versammlung. Das Verlangen dieser Europäer überstieg doch Alles. Noch niemals war ein Fremder unter irgend einem Vorwande in die geheimnißvolle Grotte zugelassen worden. Eine Ueberlieferung drohte, daß an dem Tage, wo einst weiße Männer dieses Geheimniß kennen lernten, das Reich Tonaïa’s zu Staub zerfallen werde.
Der König aber liebte es nicht, daß sein Hof sich zustimmend oder mißbilligend über seine Entscheidungen äußerte, und gerade jenes Murmeln brachte ihn, in Folge tyrannischer Launen, dahin, zuzugestehen, was er ohne jene öffentliche Meinungsäußerung vielleicht doch abgeschlagen hätte.
»Tonaïa hat mit seinem Verbündeten Pharamond Barthès Blut getauscht antwortete er in befehlerischem Tone, und er braucht vor ihm nichts mehr zu verbergen. Du und Dein Freund, versteht Ihr einen Eid zu halten?«
Pharamond Barthès machte ein bejahendes Zeichen.
»Nun wohl, fuhr der König fort, so schwört, nichts anzurühren, was Ihr in jener Grotte sehen werdet! Schwört, daß Ihr, wenn Ihr die Grotte wieder verlassen habt, Euch stets so halten werdet, als wenn Euch deren Vorhandensein gänzlich unbekannt geblieben wäre! Schwört, daß Ihr nie versucht, noch einmal in dieselbe einzudringen, noch auch nur deren Eingang aufzuspüren! Schwört endlich, daß Ihr niemals Jemandem ein Wort von dem sagt, was Ihr gesehen haben werdet!«
Mit emporgehobener Hand wiederholten Cyprien und Pharamond Barthès jedes Wort der ihnen auferlegten Eidesformel.
Als Tonaïa dann mit gedämpfter Stimme einige Befehle ertheilte, erhob sich der ganze Hof, und die Krieger bildeten zwei Reihen. Einige Diener brachten leinene Streifen her, um den beiden Fremdlingen die Augen zu verbinden; dann setzte sich der König selbst in einen großen Palankin, den ein Dutzend Kaffern auf den Schultern trugen, zu ihnen, und der Zug setzte sich in Bewegung.
Der Weg war ein ziemlich weiter; er nahm wohl zwei Stunden in Anspruch Aus den Stößen, die sie selbst im Palankin empfingen, schlossen Pharamond Barthès und Cyprien sehr bald, daß sie nach einer bergigen Stelle geführt wurden.
Dann verrieth die auffallende Frische der Luft und der laute Widerhall der Schritte des Gefolges, der sich an einander offenbar ziemlich nahe stehenden Wänden brach, daß man einen unterirdischen Raum betreten hatte. Endlich belehrte sie auch noch der Rauch von brennendem Harze, der ihnen in’s Gesicht kam, daß wohl Fackeln angezündet worden waren, um dem ganzen Zuge voranzuleuchten.
Noch dauerte der Weg eine halbe Stunde; nachher wurde der Palankin auf die Erde niedergesetzt. Tonaïa ließ seine Gäste aussteigen und befahl, ihnen die Binde von den Augen abzunehmen.
Unter dem Einflusse jener Blendung, welche durch die plötzliche Rückkehr zum Lichte dann entsteht, wenn die Function der Sehorgane längere Zeit unterbrochen gewesen war, glaubten Pharamond Barthès und Cyprien zunächst, die Beute einer außerordentlichen Hallucination geworden zu sein, so glänzend und unerwartet gestaltete sich das Schauspiel, welches sich jetzt ihren Augen darbot.
Beide befanden sich nämlich im Mittelpunkte einer ungeheuren Grotte, deren Boden mit seinem, mit goldigen Flimmern übersäeten Sande überdeckt war. Ihre Wölbung, welche der eines gothischen Domes gleichkam, verlor sich doch in für den Blick unerreichbarer Tiefe. Die Wände dieses unterirdischen Baues zeigten sich ausgekleidet mit Stalaktiten von unvergleichlicher Verschiedenheit des Tons, von welchen zurückstrahlend die Fackeln farbige Regenbogen bildeten, die halb gebrochen wurden und halb unter dem ersten Schein des hereinstrahlenden Morgenrothes verschwanden.
Weitere Kostenlose Bücher