Der süße Hauch von Gefahr
gesehen, wie sie von einem hübschen Kind zu einer atemberaubenden Schönheit heranwuchs. Und er hatte für sich beschlossen, dass Thalia Kirkwood für ihn eine angemessene Braut wäre. Ihre Familie war zwar nicht von hohem Rang, aber angesehen, und da er selbst überaus vermögend war, interessierte ihn ihr fehlender Reichtum nicht. Ihr Liebreiz hingegen … Ihr Liebreiz war ohnegleichen. So hatte er einen Plan ersonnen und in die Tat umgesetzt, ihr heimlich den Hof gemacht und der unschuldigen Schönen direkt unter der Nase ihres Vaters den Kopf verdreht.
Als die Kirkwoods dann zur Saison nach London gegangen waren, hatte er höchst zufrieden mit angesehen, wie Thalia die Stadt und die Gesellschaft im Sturm erobert hatte, und er hatte sich voller Genugtuung auf den Tag gefreut, an dem er all die jungen Narren, die sich um sie scharten, beiseitestoßen und die gefeierte Schönheit zu seiner Braut machen konnte. Oh, wie sehr würde man ihn beneiden, wie heiß würde die Eifersucht in den Herzen der jüngeren, aber verschmähten Rivalen brennen, wenn sie den Heiratsantrag des mächtigen Lord Ormsby annahm. Er hatte mehrere angenehme Stunden damit verbracht, sich diesen Augenblick auszumalen. Was ihm nie in den Sinn gekommen war, war, dass Thalia sich einbilden könnte, in den jungen Nichtsnutz, diesen Caswell, verliebt zu sein, und ihn deswegen abweisen würde. Oder dass ihr Vater ihr erlauben würde, ihrem Herzen zu folgen. Es war ihm nie eingefallen, dass sie ihm und seinem Reichtum den Rücken kehren könnte oder einen bloßen Earl einem Marquis vorziehen. Sie hatte seinen Stolz und seine Eitelkeit gekränkt, was ihn jedoch nur in dem Wunsch bestärkt hatte, sie zu heiraten.
Er hätte es vorgezogen, nicht die Briefe verwenden zu müssen, um seinen Willen durchzusetzen, aber Thalias dämliche Sturheit und die Nachdrücklichkeit, mit der sie darauf bestand, Caswell zu lieben und nur ihn heiraten zu wollen, hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Er war zuversichtlich gewesen, dass die Drohung, die Briefe bekannt zu machen, das Blatt zu seinen Gunsten wenden würde, und bis heute schien es auch gewirkt zu haben. Aber irgendetwas hatte sich geändert … Ein Prickeln des Unbehagens machte sich bemerkbar, durchdrang seine Wut. Er konnte sich nur eines denken, das sich geändert hatte, nur eines, das Kirkwood den Mut gegeben hatte, so mit ihm zu sprechen. Mit einem plötzlichen Gefühl von Dringlichkeit trieb er sein Pferd zu halsbrecherischem Galopp an.
Auf Ormsby Place angekommen, warf der Marquis einem wartenden Stallburschen die Zügel zu und begab sich eilends in sein Arbeitszimmer. Ohne seinen Butler zur Kenntnis zu nehmen, lief er an ihm vorbei, auf direktem Weg in das Zimmer mit seinem Tresor. Er trat hastig ein, schloss die Tür hinter sich und schaute sich in dem schönen Raum um. Nichts schien an der falschen Stelle zu sein. Er ging zum Gainsborough, betrachtete auch das Gemälde und seine nähere Umgebung prüfend. Wieder konnte er nichts entdecken, das nicht so war, wie es sein sollte. Er hob das Gemälde von der Wand, öffnete den Tresor und erstarrte, sobald er sah, dass das in Öltuch gewickelte Bündel nicht länger dort lag.
Er kämpfte gegen die Wut an, die ihm die Kehle abzuschnüren drohte, zwang sich, den Inhalt des Tresors in Ruhe zu überprüfen, und sein rasender Herzschlag beruhigte sich, als er merkte, dass die Ormsby-Diamanten und der andere Schmuck noch dort waren. Einzig die Briefe fehlten. Mit einem wilden Fluch schlug er die Tresortür zu und ließ sich in einen Sessel fallen. In die Betrachtung des Musters des Orientteppichs auf dem Parkettboden aus Walnussholz versunken, versuchte er zu begreifen, dass ein außerordentlich gewiefter Dieb in sein Haus eingedrungen sein musste. Es überraschte ihn nicht sonderlich, dass die Briefe verschwunden waren; damit hatte er fast gerechnet, seit Kirkwood ihn praktisch aus dem Haus geworfen hatte. Aber es waren nicht nur Thalias Briefe, die fehlten, was den Kreis der Verdächtigen erweiterte.
Seine Züge wurden scharf, so konzentriert dachte er nach; die Briefe von den betrügerischen Ehefrauen waren belanglos – der Skandal, den sie entfesseln konnten, wäre unangenehm, aber nicht so schlimm, dass jemand das Risiko einging, bei ihm einzubrechen, um sie zurückzubekommen. Oder jemanden anzuheuern, das zu tun. Nun, Lord … und Colonel …, die waren ein anderes Kaliber. Wenn ihre Briefe bekannt werden würden, bedeutete das den völligen Ruin
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