Der süße Hauch von Gefahr
ist tot. Ermordet.«
19
D ie Nachricht, dass Colonel Denning auf einer ruhigen Landstraße mitten am Tag erschossen worden und dass der Mörder von zwei Bauern gesehen worden war, verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Gegend. Von dem Höchsten bis zum Niedrigsten, der entsetzliche Tod des Obersts war überall das Gesprächsthema, wann immer Leute zusammenkamen, in ihren Häusern, auf den Feldern und in jeder Taverne und jedem Gasthaus der Gegend. Alle sprachen von nichts anderem.
Ein Mitglied der vornehmen Gesellschaft, ermordet auf einer öffentlichen Straße, und nicht etwa des Nachts, sondern im hellen Tageslicht! Erschossen! Etwas Vergleichbares hatte es in der Gegend seit Ewigkeiten nicht gegeben – höchstens als die Schwester des wohlhabenden Gutsbesitzers Mr Lockheed sich vor etwa zwanzig Jahren ruiniert hatte, als sie sich in einen Schmuggler verliebt hatte und mit ihm durchgebrannt war. Oh, die Münder standen nicht still, damals nicht und heute auch nicht. Aber alle waren sich einig, dass ein durchgebranntes Liebespaar sich nicht mit dem Mord am Oberst vergleichen ließ. Selbst Vincent Beverleys tragischer Tod vor mehr als dreißig Jahren wurde wieder hervorgekramt. Natürlich war der plötzliche Tod des jungen Beverley nur vage verdächtig erschienen, während Denning unverkennbar einem kaltblütigen Mord zum Opfer gefallen war.
Wegen der Umstände seines Ablebens zog Colonel Dennings Beerdigung eine viel größere Menge Trauergäste an, als es sonst der Fall gewesen wäre. Mit angespannter, grimmiger Miene, sich der Blicke und gewisperten Bemerkungen der neugierigen Zuschauer bewusst, die dabeistanden, als sein Stiefvater zur letzten Ruhe auf dem Dorffriedhof gebettet wurde, sagte Asher halblaut zu Juliana:
»Haben sie nichts Besseres zu tun, als herzukommen und neugierig zu gaffen?«
Sie besänftigte die wachsende Wut in ihm, die sie spüren konnte, indem sie eine Hand auf seinen Arm legte und leise antwortete:
»Sie denken sich nichts Böses dabei. Dein Stiefvater war ein sehr beliebter Mann in der ganzen Gegend. Die Leute mochten ihn und seine unkomplizierte Art. Viele wären auch dann gekommen, wenn er nicht ermordet worden wäre.«
Asher atmete tief durch, nickte und drängte die hilflose Wut zurück, die in ihm tobte. Sein Blick glitt über die von Trauer gezeichneten Gesichter seiner Geschwister; seine beiden Schwestern und sein Bruder standen auf der anderen Seite des Grabes, und sein Gefühl der Hilflosigkeit wuchs. Solange er sich erinnern konnte, hatte er sie beschützt, aber ihre Trauer über ihren Verlust war etwas, an dem er nichts ändern konnte, und das nährte seinen ohnmächtigen Zorn nur noch. Obwohl sie Robert einen Brief mit der traurigen Nachricht geschickt hatten, war er nicht da, weil er weiß der Himmel wo auf dem Kontinent kämpfen musste. Selbst wenn er hätte kommen dürfen, er hätte es nie rechtzeitig zur Beerdigung schaffen können. Asher litt mit ihm, dass er mit dem Schmerz alleine fertig werden musste. Den Vater zu verlieren, so plötzlich, so gewaltsam, war für die gesamte Familie ein entsetzlicher Schlag gewesen. Und Asher räumte missmutig ein, dass der Oberst trotz all seiner Fehler auf seine ganz eigene Art seine Kinder geliebt hatte. Er würde ihnen allen fehlen, seine joviale Art, seine ungezwungene Zuneigung.
Zu seiner eigenen Überraschung stellte Asher fest, dass er den Tod eines Mannes betrauerte, bei dem er eigentlich überzeugt gewesen war, dass er ihn verabscheute. Er hatte Denning Vorwürfe gemacht, und es nicht gebilligt, dass er seiner Mutter achtlos so viele Stunden des Schmerzes und der Verzweiflung beschert hatte; er hatte sich maßlos geärgert, dass er sich so wenig um die Zukunft seiner Kinder kümmerte, aber nie, selbst in seinen schwärzesten Stunden, hatte Asher ihm den Tod gewünscht. Anders, verändert und verlässlicher, pflichtbewusster, ja, aber nie tot. Und bestimmt nicht ermordet.
Dennings Tod traf ihn hart, schmerzte ihn. Während die Tage verstrichen, verstand er zum ersten Mal, dass er unter seiner Abneigung und der Verachtung für den Mann ihn doch auf seine eigene Weise geliebt hatte. Er war sich bewusst, dass Denning seine Kinder ebenfalls geliebt hatte – so sehr er dazu in der Lage war. Um seine Lippen zuckte es. Vielleicht war der Unterschied zwischen ihm und seinem Stiefvater doch nicht so groß, wie er sich immer eingebildet hatte.
Nachdem die Beerdigung überstanden war, kam die Verlesung des letzten Willens
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