Der süße Hauch von Gefahr
des Obersts, den er ein paar Tage, nachdem er Rosevale gekauft hatte, neu aufgesetzt hatte. Dennings Testament enthielt keine Überraschungen. Wie John und Asher ja bereits wussten, ging Rosevale an Robert. Da er nie viel besessen hatte, und nachdem seine Töchter gut verheiratet waren, John mit Apple Hill versorgt war und Asher stets für sich selbst gesorgt hatte, hatte Denning festgelegt, dass der Rest seines Besitzes unter seinen Kindern und seinem Stiefsohn aufgeteilt wurde. Erfreut hatte Asher zur Kenntnis genommen, dass Denning eigens bestimmt hatte, dass sein Stiefsohn Janes Schreibtisch erhielt. Eine Überraschung gab es allerdings dann doch: In einem Nachsatz zu dem Testament, geschrieben und bezeugt am Tage vor seinem Tod, hatte Denning seine gesamte Bibliothek Asher vermacht. Da er kein begeisterter Bücherleser war, wunderte sich Asher drüber, tat es aber dann mit einem Achselzucken ab. Er hatte seinen Stiefvater, solange er lebte, nie verstanden, warum sollte er es tun, wenn er tot war?
Martha und Elizabeth blieben mit ihren Ehemännern noch ein paar Tage nach der Verlesung des Testaments auf Apple Hill. Zusammen mit Asher und Juliana halfen sie, den Besitz ihres Vaters durchzusehen, und sie trösteten einander. An einem Montagmorgen vielleicht elf Tage nach dem Mord an dem Oberst, verabschiedeten sich seine beiden Töchter tränenreich von ihren Brüdern und traten mit ihren Gatten die Heimreise an. Asher, der mit Juliana, Mrs Manley und John zusammen auf der Auffahrt von Apple Hill stand, schaute der großen Reisekutsche mit gemischten Gefühlen nach. Einerseits war er erleichtert, dass er nicht länger ihre Trauer und Verzweiflung mit ansehen musste, nicht länger ihre Fragen hörte, auf die er keine Antwort wusste, Fragen zu Dennings Tod, aber andererseits bedauerte er es auch, sie wegfahren zu sehen.
Als die Kutsche um die Kurve verschwunden war und alles, was von ihr noch zu erkennen war, eine Wolke aufgewirbelter Straßenstaub war, gingen die vier langsam wieder ins Haus. Sie sprachen nicht viel miteinander, als sie in die Eingangshalle kamen und sich jeder auf einen Stuhl oder eine Polsterbank setzte.
Mit müdem, angespanntem Gesicht fasste Mrs Manley die Gefühle aller sehr treffend zusammen:
»Ich bin jedenfalls froh«, erklärte sie in ihrer unverblümten Art, »dass die Prüfung der Beerdigung und all dessen, was danach kommt, hinter uns liegt und wir nun anfangen können, wieder nach vorne zu schauen.«
»Ich kann einfach nicht begreifen, dass er nicht mehr da ist«, bemerkte John heiser, und sein Blick war stumpf und verletzt.
»Ich denke immer, ich hätte sein Pferd gehört und er würde gleich zur Tür hereinkommen, irgendeinen witzigen Spruch auf den Lippen oder eine Geschichte, die er mir erzählen will.«
Mrs Manley nickte.
»Ja, so ging es mir, als eure Mutter gestorben ist. Ich dachte die ganze Zeit, ich hätte ihre Stimme gehört oder ihr Lachen, und sie würde gleich das Zimmer betreten und mir von einem eurer Streiche berichten … oder wie klug ihr wart.« Mit freundlicher Miene sagte sie:
»Ich weiß, das ist jetzt kein großer Trost, aber so, wie es war, als eure Mutter gestorben ist, wird der Schmerz allmählich nachlassen, und es wird eine Zeit kommen, zu der du an ihn ohne diese entsetzliche Leere und diesen bohrenden Schmerz im Herzen denken kannst. Du wirst deinen Vater immer vermissen, so wie uns allen eure Mutter auch heute noch fehlt, aber die Zeit heilt wirklich alle Wunden.«
»Kommst du zurecht?«, fragte Asher und schaute seinen Bruder forschend an.
John warf ihm ein schiefes Lächeln zu.
»Darf ich dich daran erinnern, auch wenn ich weiß, dass du anderer Meinung bist, dass ich ein erwachsener Mann bin und nicht ständig von meinem großen Bruder verhätschelt werden muss?« Auf Ashers verlegenes Lächeln hin fügte er hinzu:
»Mir wird es gut gehen. Ich denke, ich werde, nachdem ich mich davon überzeugt habe, dass die Bauernhöfe für ein paar Wochen auch ohne mich auskommen, vermutlich nach Brighton gehen und Prinny eine Weile lang bei seinem Treiben zusehen.«
Asher nickte; er war der Ansicht, dass es John guttäte, eine Weile Apple Hill fernzubleiben – und den neugierigen Blicken und den sich überschlagenden Gerüchten.
Gegenwärtig herrschte die Meinung vor, offiziell und unter den Bewohnern der Gegend, dass irgendein Fremder, vielleicht ein Straßenräuber auf der Durchreise oder so, den armen alten Oberst erschossen habe. Hier gab es
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