Der süße Hauch von Gefahr
musste, wenn der kam, um seine Mutter nach Hause zu geleiten.
Den ganzen Abend über gelang es ihm, äußerlich Gelassenheit zu bewahren und zu wirken, als sei weiter nichts, aber insgeheim überlegte er fieberhaft, was er tun konnte. Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm. Er verfluchte sein Pech. Dabei hätte er heute Nachmittag noch beim Grab seiner Mutter geschworen, dass er nie zuvor seine Großmutter den Namen Sherbrook hatte erwähnen hören. Es war nicht völlig auszuschließen, dass sie ab und zu von ihrer Freundin Barbara gesprochen hatte. Genau genommen, jetzt, da er darüber nachdachte, erinnerte er sich vage daran, dass sie tatsächlich manchmal jemanden namens Barbara erwähnt hatte, aber er hatte nicht wirklich darauf geachtet. Warum sollte er auch? Seine Großmutter hatte einen großen Bekanntenkreis und jede Menge Freunde, die er nie gesehen und von denen er höchstens flüchtig gehört hatte. Es war unglückselig, dachte er nicht ohne Selbstironie, dass sie ihm niemals Barbaras Nachnamen verraten hatte. Ob das allerdings einen Unterschied gemacht hätte für das, was er letzten Frühling getan hatte? Er schnitt eine Grimasse. Vermutlich nicht. Nachdem er sich erst einmal entschlossen hatte, das Memorandum in seinen Besitz zu bringen, das Whitley von den Horse Guards gestohlen hatte, hätte auch die Kenntnis des Umstandes, dass seine Großmutter gut mit Marcus Sherbrooks Mutter befreundet war, ihn nicht davon abhalten können.
Ein paar Stunden später verabschiedete er sich von seiner Großmutter, und als er durch die Dämmerung nach Fox Hollow fuhr, nagte das unbehagliche Wissen an ihm, dass er in etwa zwei Wochen mit dem Mann zusammentreffen würde, dessen Frau er entführt hatte. Und nicht zu vergessen, dass er zudem in Marcus’ Arbeitszimmer eingestiegen, seinen Tresor aufgebrochen und das Memorandum an sich genommen hatte. Ein Memorandum, das er später dann an den Duke of Roxbury verkauft hatte.
Kurz vor den Ställen von Fox Hollow fragte er sich dann, ob er irgendetwas anders hätte machen können. Aber die Antwort darauf kannte er bereits. Ja, sobald er erfahren hatte, wo sich das Memorandum befand, hätte er bloß Sherbrook eine Nachricht zukommen lassen müssen, in der er ihn darüber informierte. Dann hätte er ruhigen Gewissens davonreiten können, in der Gewissheit, dass das Dokument wieder in die richtigen Hände gelangen würde. Er hätte alles abblasen können. Er hätte auf die Entführung von Isabel Sherbrook verzichten können und alles, was damit zusammenhing. Aber habe ich das?, fragte er sich selbst bitter. Nein, ich war darauf fixiert, um jeden Preis zu gewinnen, und sobald ich den Plan in Bewegung gesetzt hatte, war ich so verdammt entschlossen, mir das Dokument selbst zu holen … und nahezu das Lösegeld eines Königs für seine Rückgabe bezahlt zu bekommen, nicht zu vergessen.
Auf dem Weg zum Haus ging er schonungslos mit sich ins Gericht, duldete keine Ausflüchte. Mit denselben Umständen erneut konfrontiert, wusste er, dass er dasselbe wieder tun würde. Dennoch schmeckte es ihm nicht, dass er – wenn auch unbeabsichtigt – etwas getan hatte, was eine Freundin seiner Großmutter betroffen hatte. In der Vergangenheit hatte er Dinge getan, auf die er ganz bestimmt nicht stolz war, aber er hatte stets dafür gesorgt, dass die dunkle Seite seines Lebens nichts mit seiner Familie zu tun hatte, für die er das alles riskierte, deren Sicherheit ihm über alles ging.
In der eichengetäfelten Diele warf er seine Handschuhe auf den Tisch und begab sich in sein Arbeitszimmer. Nachdem er sich einen Brandy eingeschenkt hatte, wanderte er mit dem Glas in der Hand durch das Zimmer, rastlos und unruhig.
Schließlich ließ er sich in seinen Lieblingsledersessel fallen und trank einen Schluck, überlegte, ob das Zusammentreffen mit Marcus Sherbrook wohl seinen Untergang einläuten und der Familie Schande bringen würde – was seine größte Sorge war. Nach weiterem Nachdenken hielt er das allerdings für eher unwahrscheinlich. Sherbrook hatte ihn im Grunde genommen nie gesehen, seine Frau hingegen … Er hatte Isabel Sherbrook entführt, hatte aber kaum Zeit in ihrer Nähe verbracht. Außer seiner Stimme bei den paar Gelegenheiten während ihrer Gefangenschaft, bei denen er mit ihr gesprochen hatte, gab es nichts, anhand dessen sie ihn identifizieren könnte. Außerdem – warum sollte irgendeiner der Sherbrooks den Enkel von Barbaras lieber Freundin mit den Ereignissen des
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