Der süße Hauch von Gefahr
Blätter an, als ob Juliana ihr eine Schlange auf den Tisch geworfen hätte. Mr Kirkwood zuckte zusammen und sah seine älteste Tochter ungläubig an.
»Thalias Briefe?«, krächzte er, und sein Blick glitt zu den Briefen und wieder zu Julianas Gesicht zurück.
»Aber … wie? Und sag nicht, dass Ormsby einen Sinneswandel hatte und sie dir gegeben hat.«
Juliana ging auf seine Frage nicht ein, sondern legte Thalia behutsam eine Hand auf die Schulter und sagte leise:
»Sieh sie dir an. Sind es deine?« Sie kannte die Antwort zwar bereits, aber sie wollte es von Thalia bestätigt bekommen.
Mit sichtlich zitternden Fingern nahm Thalia den dünnen Stapel und ging ihn durch. Verwunderung malte sich auf ihre Züge, und sie rief:
»Oh, ja! Das sind genau meine dummen, dummen Briefe! Aber wie konnte das geschehen? Wie hast du sie nur bekommen?«
»Ach, das ist doch egal. Wichtig ist allein«, erwiderte Juliana fest, »dass Ormsby uns nicht länger zu irgendetwas zwingen kann. Oder können wird, wenn die Briefe verbrannt sind.«
Unter den erstaunten Blicken von Thalia und Mr Kirkwood nahm Juliana Thalia die Briefe wieder aus den gefühllosen Fingern, marschierte zum Kamin in der Zimmerecke und griff nach der Zunderbox auf dem Sims aus grauem Marmor. Als sie begriffen, was Juliana vorhatte, sprangen Thalia und Mr Kirkwood auf, liefen zu ihr und sahen zu, wie sie die Papiere anzündete.
Gemeinsam schauten sie gebannt zu, wie die zunächst winzigen Flammen größer wurden und die Briefe verzehrten. Schulter an Schulter standen sie vor dem Kamin, beobachteten stumm, wie das Papier sich schwarz färbte, sich unter den orangen und gelben Flammen kräuselte. Es gab einen kollektiven Seufzer der Erleichterung, als nur noch ein kleines Häufchen Asche übrig war.
Voller Dankbarkeit blickte Thalia ihre Schwester an, schlug die Hände zusammen und erklärte:
»Du hast mich gerettet! Oh, Juliana, begreifst du, was das heißt? Jetzt kann ich meinen geliebten Piers heiraten!«
Sie sah zu ihrem Vater und sagte mit bebender Stimme:
»Und Papa, du musst dich nicht mehr meiner schämen oder mir böse sein, ja?«
Mr Kirkwood schloss seine Jüngste zärtlich in die Arme.
»Ich mag anfangs ein wenig ärgerlich gewesen sein, aber ich habe mich nie deiner geschämt.« Er küsste sie auf die Stirn.
»Jeglichen Ärger, den du in mir gespürt haben wirst, war gegen meine eigene Hilflosigkeit und Ohnmacht gerichtet, dich zu retten.« Mit einem neckenden Funkeln in den Augen fügte er hinzu:
»Wie könnte ich lange auf jemand so Reizendes böse sein, auch wenn er vorübergehend gepunktet ist?«
Thalia lachte unter Tränen, schaute wieder Juliana an, die neben ihnen stand. Dann befreite sie sich aus der Umarmung ihres Vaters und trat zu Juliana und küsste sie auf die Wange.
»Du bist die wahre Heldin!«, rief sie.
Mit einem liebevoll nachsichtigen Lächeln sah Juliana von ihr zu ihrem Vater.
»Glaubt mir, das bin ich bestimmt nicht. Ich bin nur eine Schwester und Tochter, die es nicht hinnehmen konnte und wollte, dass ein grässlicher Mann Menschen derart quält, die ich liebe.« Ihre Stimme wurde härter:
»Und ich kann es nicht erwarten, Ormsbys Gesichtsausdruck zu sehen, wenn er entdeckt, dass die Kirkwoods ihn überlistet haben.«
Mr Kirkwood lachte, zog Juliana schwungvoll in seine Arme und wirbelte mit ihr durchs Zimmer.
»Ich weiß nicht, wie du es angestellt hast, meine Liebe, aber … Himmel, es ist ein Wunder. Thalia hat recht – du bist eine Heldin.«
Juliana wollte das nicht gelten lassen.
»Nein, bin ich nicht, ich hatte nur einfach … Glück«, beendete sie ihre Erklärung lahm. Es war ihr unangenehm, dass sie nichts sagen konnte, Asher nicht erwähnen durfte – Asher, der der wahre Held dieser Geschichte war, der seinen Ruf, ja sogar sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um Thalias Zukunft zu retten. Reue erfasste sie. Er hatte Thalia gerettet, und sie hatte ihm das gedankt, indem sie ihn mit einer Ohrfeige weggeschickt hatte. Ihre Freude verflog, als hätte es sie nie gegeben, und heftige Schuldgefühle nagten an ihr. Sie starrte auf ihre Füße in den Seidenschuhen, dachte wieder an die Szene in der Bibliothek, die schrecklichen Worte, die sie Asher entgegengeschleudert hatte. Sie fühlte sich elend. Sie war ein undankbares Geschöpf. Schlimm genug, dass sie erst gesagt hatte, sie wolle ihn heiraten, nur um es im nächsten Moment wieder zurückzunehmen und ihm eine Ohrfeige zu geben. Sie war eine feige
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