Der sueße Kuss der Luege
verständigen. Ich erkläre ihnen, dass ich das schon längst getan habe. Erleichtert und mitleidig schauen sie mich an, scharren aber mit den Füßen, wollen gehen, müssen ihre Kinder nach Hause bringen, wollen ganz bewusst all das tun, was normale Familien an einem Feiertag tun, und ich kann sie nur zu gut verstehen. Jeder Einzelne hat grauenhafte Bilder vor Augen, was es bedeuten kann, wenn ein Kind verschwindet. Und jeder von ihnen ist froh, dass es nicht ihn getroffen hat und sein Kind noch da ist.
»Gehen Sie ruhig, ich warte hier auf die Polizei«, sage ich, um sie zu erlösen.
Die Großmutter schüttelt energisch den Kopf. »Sie sollten jetzt nicht allein sein. Ich rufe meine Tochter an, die soll die Kinder abholen. Wir bleiben bei Ihnen.«
Die anderen nicken dazu.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber diese Hilfsbereitschaft schnürt mir die Kehle zu. Mit erstickter Stimme erkläre ich, dass ich die Polizei noch einmal anrufen werde, drehe mich ein bisschen weg und rufe dann Diego an, weil ich ihn hier dringend brauche. Ich möchte, dass er sofort herkommt. Das ist ein absoluter Notfall.
Diego ist gleich am Telefon und versichert mir, alles ginge seinen Gang. Ich soll weiter dortbleiben, aber er bräuchte ein aktuelles Foto von Ida, damit die Kollegen eine Suchmeldung herausgeben könnten. Eigentlich könnten das nur die Eltern tun, aber die seien nicht da, oder? Er würde das alles regeln, wenn ich ihm das Foto schicke.
Ich maile ein Foto von Ida, das ich bei unserem Flohmarktbesuch gemacht habe und bei dem man sie sehr gut erkennen kann. Als ich ihr hübsches lachendes Gesicht sehe, fange ich an zu schluchzen und Tränen strömen mir über das Gesicht. Schuld ätzt sich durch meine Adern, wie giftiges Blut.
Yukiko. Karate-Regel Nummer sieben besagt: Unglück passiert immer durch Unachtsamkeit.
Ich muss Idas Mutter anrufen, ich muss ihr sagen, was hier vorgeht. Aber allein der Gedanke wird Yukiko bis ins Mark treffen und sie fast umbringen, denn sie kann im Flieger nichts tun.
Bis sie landen, ist Ida wieder aufgetaucht, sage ich mir. Ganz bestimmt, deshalb sollte ich sie jetzt nicht beunruhigen.
Die anderen Kinder werden nach und nach abgeholt und die übrig gebliebenen Mütter versuchen, mich zu trösten. Bestimmt ist die Polizei gleich da, und wenn sie mit der Hundestaffel kommen und mit Hubschraubern, dann finden sie die Kleine sicher sofort.
Oh Gott! Hundestaffel, Hubschrauber! Davon hat Diego nichts gesagt, sicher nur, um mich nicht zu beunruhigen.
Wir warten noch ein paar Minuten, die für mich eine Ewigkeit dauern, dann sagt der Vater von Leon, er fände es reichlich komisch, dass niemand kommt. Im Fernsehen sei doch immer sofort der totale Irrsinn los, wenn ein Kind verschwände. Die anderen stimmen ihm zu und wollen wissen, wann ich denn die Polizei angerufen habe. Auf der Anrufliste kann ich sehen, dass mein erster Anruf bei Diego schon genau dreiundzwanzig Minuten her ist. Dreiundzwanzig Minuten! Verdammt, wo bleibt Diego?
Ich rufe ihn wieder an, aber er geht nicht dran.
Die Bambusprinzessin kommt auf die Erde
Das kleine Mädchen kam langsam zu sich und versuchte, Luft zu bekommen, aber obwohl es tief ein- und ausatmete, kam nur wenig Luft in ihre Lungen. Es öffnete seine Augen, aber trotzdem wollte die Dunkelheit nicht weggehen. Es machte seine Augen noch größer, aber zu erkennen war nichts.
Nur etwas zu hören. Ein regelmäßiges Brummen.
»Auto!«, sagte das Mädchen und nickte bestätigend und dann sah es doch ein paar schemenhafte Umrisse und erkannte den Hasen, der neben ihr lag. Sie war in einem Auto und Emil war bei ihr.
Lu hatte gelogen. Emil war gar nicht mit der Bambusprinzessin in Paris. Emil war hier bei ihr. Aber wo war sie? Und wo war Tante Lu? Sie versuchte, ihre Arme zu bewegen, doch das war unmöglich.
Ihr Arme waren angeklebt an ihrem Körper, aber nicht nur oben an der Achsel, sondern in ihrer ganzen Länge. Auch ihre Beine waren eng aneinandergewachsen. Dann verstand sie, was los war.
Jemand hatte Cowboy und Indianer mit ihr gespielt und sie gefesselt, so wie sie und Frau Reimann das neulich mit Onkel Sebastian getan hatten. Aber der würde sie nicht im Dunkeln liegen lassen. Niemand würde das tun. Und dann fiel ihr wieder der Polizist ein, der auf dem Spielplatz gewesen war und ihr Emil gebracht hatte.
»Mama«, flüsterte sie.
Ihr war unheimlich im Dunklen. Das war ein blödes Spiel und sie wollte, dass es aufhörte, auch wenn Emil neben ihr
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