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Der sueße Kuss der Luege

Der sueße Kuss der Luege

Titel: Der sueße Kuss der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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passiert?«
    Ich kann Diego nur bewundern. Allerdings finde ich, er übertreibt es. Außerdem dauert das alles viel zu lange.
    »Das hatte ich doch schon am Telefon gesagt, aber gut. Eine Kollegin von uns ist krank geworden, das heißt, Schwester Ruth von der Demenz musste eine Doppelschicht einlegen. Sie ist sonst immer zuverlässig, die Schwester Ruth, aber es ist halt doch sehr viel hier.«
    Wir nicken ihr verständnisvoll zu.
    »Jedenfalls ist Ruth erst um neun zu Frau Braun gekommen mit dem Frühstück, statt gleich um sieben, wie üblich, und da ist sie weg gewesen, die Frau Braun.«
    »Was meinen Sie mit weg?«
    Ich kann das nicht glauben. Sind wir schon wieder auf dem Holzweg?
    Die Schwester zuckt mit den Schultern. »Na, weg halt. Das kommt häufig vor bei Demenzkranken, das wissen Sie ja sicher. Aber wir finden sie immer wieder, verstehen Sie? Immer. So etwas ist uns noch nie passiert! Wir haben alles durchkämmt, das ganze Haus, auch den Garten, aber Frau Braun bleibt verschwunden.«
    »Wann ist sie das letzte Mal gesehen worden?« Diegos Stimme klingt streng.
    »Beim Abendessen und beim letzten Rundgang auf der Station gegen neun Uhr abends war sie noch da.«
    »Darf ich mal Frau Brauns Zimmer sehen?«
    »Natürlich, ich zeige es Ihnen.« Als ich mich neben Diego stelle, um ihr zu folgen, mustert sie mich misstrauisch, was mich nicht wundert, so wie ich aussehe. Diego beeilt sich, ihr zu erklären, dass ich gerade eine blutige Schlägerei in der Mozartstraße am Hauptbahnhof geschlichtet hätte und mir nur schnell von Kollegen etwas zum Anziehen borgen konnte. Das scheint sie zwar nicht ganz zu überzeugen, aber sie zuckt mit den Schultern und fragt nicht weiter nach.
    Elsa Brauns Zimmer liegt im fünften Stock, ein Einzimmerapartment mit einem behindertengerechten Badezimmer und einem kleinen Balkon. Es riecht nach staubigem Wollteppich, nach ungelüfteten Betten und, obwohl es Juni ist, nach Spekulatius. Am Fenster steht ein gemütlicher altrosa Sessel mit goldener Leselampe und an der Wand ein Buffetschrank, auf dem Dutzende von gerahmten Fotos herumstehen.
    Nur ihr Bett ist ein Krankenhausbett, auf dem eine steife Puppe mit einem Porzellankopf und einem großen blauen Petticoatkleid sitzt, und da fällt es mir wieder ein. Jan Gohlis, wie er auf dem Flohmarkt nach einer Puppe sucht. Einer Puppe für eine ältere Dame.
    Mein Herz klopft schneller, als ob uns das einen entscheidenden Schritt weitergebracht hätte. Vielleicht finden wir hier tatsächlich einen Hinweis! An den Wänden hängen fröhliche, aber vergilbte Kinderzeichnungen. Durch das große Fenster und die Balkontür sieht man bis zu dem kleinen Weiher, der am Ende des Parks liegt.
    »Den See hat sie gern«, erklärt Frau Schneider, als sie meinen Blick bemerkt. »Das ist übrigens das erste Mal, dass sie weggelaufen ist, die ist eigentlich immer brav, nicht so wie der Professor Hartmann vom Erdgeschoss, der mal General gewesen ist.«
    Ich betrachte mir die Fotos und dann erkenne ich zwischen all den Kinderfotos eins von Jan Gohlis, das erst kürzlich gemacht sein kann, denn er trägt den blonden Bart und sieht genauso aus, wie ich ihn kennengelernt habe.
    »Haben Sie diesen Mann schon mal hier gesehen?«, frage ich hastig.
    Frau Schneider schürzt die Lippen wie zu einem Nicken und gerät ins Schwärmen. Der junge Mann, den sie alle Patrick nennen durften, sei doch der Lieblingsenkel von Frau Braun gewesen. Sie hätten oft einen großen Spaziergang durch den Park gemacht und der junge Mann wäre auch gegenüber den anderen Damen so freundlich und zuvorkommend gewesen. Hat ihnen immer Pralinen und Zeitungen mitgebracht. Neben dem aktuellen Foto von Gohlis ist noch ein Bild von ihm als kleiner Junge, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt. Ich nehme es in die Hand, um es genauer anzusehen. Seine Augen lächeln direkt in die Kamera, grau wie Eurostücke, die in Eis eingefroren sind, der Rest seines Gesichtes bleibt im wuscheligen whiskeyfarbenen Fell einer dicken Katze verborgen.
    Mein Herz klopft schneller. Wir sind auf der richtigen Spur. Jan war in der letzten Zeit bei Frau Braun, sogar häufig. Sie muss etwas wissen, sie muss einfach, selbst wenn sie dement ist!
    »Und wann war Patrick das letzte Mal hier?«, fragt Diego gerade.
    »Das weiß ich nicht genau. Ich hatte gerade drei Tage frei.«
    Diego drängt darauf, dass wir uns auch im Garten umsehen, was Frau Schneider uns gern gestattet. Ihr Chef, der gerade auf einer Tagung zur

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