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Der sueße Kuss der Luege

Der sueße Kuss der Luege

Titel: Der sueße Kuss der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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ihre Bürgerpflicht angesichts all des Bluts.
    Da kapituliert sie und geht zurück zum Haus.
    Diego reagiert sofort. »Das ist unsere Chance! Lass uns verschwinden, ich habe eine Idee.«
    Ich sehe nicht mal hoch. Ich habe genug von seinen Ideen, ich bleibe hier, ich kann nicht mehr.
    Diego mustert mich einen Moment, dann kniet er sich neben mich. »Irgendwas ist mit dir passiert, Lu«, sagt er. »Du denkst plötzlich wieder, ich habe etwas mit der Sache zu tun. Aber Lu, ich schwöre dir, ich habe deine Nichte nie auch nur angerührt. Ich habe so viele Fehler gemacht, mich als falschen Polizist ausgegeben und die Wohnung deines Bruders ausgekundschaftet. Aber Ida, das ist…« Seine Stimme bricht. Dann richtet er sich auf. »Okay, du bleibst hier. Ich mach das wieder gut. Ich schwöre dir, ich mach das wieder gut.«
    Er dreht sich um, lässt mich stehen und rennt mit riesigen Schritten durch den Park.
    Will er einfach nur fliehen oder hat er wirklich eine Idee, wo wir noch suchen können?
    Ich schaue auf die Blutspur, die am Steg endet. Sollte ich nicht hoffen, dass es noch eine winzige Chance gibt? Jetzt sehe ich auch die anderen Spuren, von denen Diego geredet hat. Ich stehe auf und schaue sie mir genauer an. Es sind parallel angeordnete Reifenspuren, dünner als Auto- oder Motorradreifen, auch anders als Fahrradreifen. Vielleicht sind es Reifen eines Rollators oder Rollstuhls. Aber was ändert das? Ich suche nach weiteren Spuren und sehe aus den Augenwinkeln, dass Diego stehen geblieben ist.
    »Diego.« Meine Stimme klingt gar nicht nach mir, hoch und zittrig und dünn, aber er kommt sofort zu mir zurück. Er ist außer Atem, unter den schwarzen Schatten der Bartstoppeln schimmert seine Haut gespenstisch bleich, tiefe Ringe liegen unter seinen jetzt türkisgrauen Augen, die mich voller Hoffnung ansehen.
    »Was hast du vor?«, frage ich.
    »Ich erklär es dir unterwegs.«
    »Jetzt«, verlange ich.
    »Bitte Lu! Gleich ist das große Einsatzkommando hier und dann lassen die uns nicht mehr weg!«
    Meine Füße setzen sich in Bewegung, treffen eine Entscheidung, bevor mein Kopf, der immer noch voller Zweifel ist, sich einmischen kann. Wenn Ida tot ist, sagt die Stimme in meinem Hirn, was hast du dann noch zu verlieren? Aber wenn sie lebt, dann hat sie alles zu gewinnen.

Lu am Freitag, dem 8. Juni 2012, 12:00 Uhr
    Der Taxifahrer ist natürlich längst weg, aber Diego kümmert sich nicht darum, sondern rennt einfach los.
    »Es ist nicht weit«, ruft er mir über die Schulter zu.
    Mir ist schrecklich flau, ich stolpere mehr, als ich laufe, mein ganzer Körper fühlt sich an, als ob er extremen Muskelkater hätte, und in meinem Schädel knistert es, als würde jemand zerknülltes Pergamentpapier aneinanderreiben. Die Sonne ist zwar hinter grauen Wolken verschwunden, aber das Licht bleibt so diffus hell, dass ich meine Augen zukneifen muss, und die schwüle Hitze, die genau wie gestern Morgen über Frankfurt pappt, macht alles noch schlimmer.
    Als Diego merkt, wie langsam ich vorankomme, rennt er zurück, nimmt meine Hand und zerrt mich vorwärts. Im Laufen erzählt er mir, was er vorhat.
    Ich erfahre, dass er in einem Altenheim seinen Zivildienst abgeleistet hat und sich deswegen mit Demenzkranken auskennt. Diego glaubt, dass Frau Braun wie viele Demenzkranke mitten in der Nacht aufgestanden ist, weil sie nicht schlafen konnte. Irgendwie muss sie es dann von der Station nach draußen geschafft haben und vielleicht hat sie dort etwas gesehen, das sie so verstört hat, dass sie weggelaufen ist. »Der einzige Ort, den sogar total Verwirrte manchmal noch finden, ist das Haus, in dem sie ihr Leben lang gewohnt haben, und das ist gleich dort drüben«, sagt er keuchend und zerrt mich vorwärts.
    Ich schüttele den Kopf. Aber das kann nicht sein. Falls Frau Braun in der Nacht etwas Verstörendes gesehen hat und falls das tatsächlich mit Ida zu tun gehabt hat, dann kann es nur bedeuten, dass Jan doch einen Komplizen gehabt hat. Denn Jan war gestern Abend um sieben Uhr längst tot und danach ist Frau Braun noch gesehen worden. Also, was soll es uns bringen, wenn wir uns auf die Spur der alten Frau begeben, während der Komplize von Jan Gohlis Ida Gott weiß wohin verschleppt hat?
    Doch ich habe keinen Atem, das alles zu erklären, und überhaupt, was sollen wir sonst machen, deswegen folge ich Diego, der an meiner Hand zerrt, als hinge sein eigenes Leben davon ab.
    In der Parkstraße stehen die Reihenhäuschen aus den

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