Der sueße Kuss der Luege
Erschöpfung sie dazu, eine Pause zu machen. Doch dann hatte sie es endlich geschafft.
Sie war draußen. Vor dahinfliegenden dicken Wolken leuchtete ein fast voller Mond, der in einem kleinen See gespiegelt wurde. Dorthin musste sie, zu dem Mond, der in ihrer Nähe war. Da war sie in Sicherheit, dort konnte ihr nichts geschehen.
Ida kroch weiter über das Gras hin zum See.
Doch plötzlich hörte sie ein merkwürdiges Geräusch hinter sich, ein leichtes Schleifen und Schritte. Nicht umdrehen, dachte sie, nur nicht umdrehen, man darf sich niemals umdrehen.
Und das war auch gut so, denn der Anblick der Yamauba, deren Hände das im Mondlicht aufblitzende Metall umklammerten, hätte sie zu Tode erschreckt.
Lu am Freitag, dem 8. Juni 2012, 9:45 Uhr
Diego kommt zurückgerannt, springt in das Polizeiauto und rast mit quietschenden Reifen los.
Ich sehe ihn ängstlich von der Seite an. Was hat er in der Notaufnahme für eine Geschichte erzählt?
»Wir haben nicht viel Vorsprung«, sagt er verbissen. »Ich habe in der Klinik angegeben, dass sie die Polizei rufen und Frau Rolfs verlangen sollen.«
»Und was tun wir jetzt? Wir wissen doch gar nicht, in welchem Altersheim Frau Braun untergebracht ist.«
»Wissen wir doch.« Diego beißt die Lippen zusammen und biegt um eine Ecke. »Schau mal im Handy nach. Jan hat neulich einen Witz gemacht, nachdem eine Krankenschwester in unsere Radarfalle gefahren ist. Er meinte, wenn er je dement werden sollte, dann müsste ich ihn in die Efeumühle bringen, das wäre das Altersheim mit den schärfsten Pflegerinnen in der Umgebung. Ich wette mit dir, da ist er nicht zufällig draufgekommen!«
Ich habe schon die Google-Suche auf dem Handy aufgerufen und werde fast wahnsinnig, weil ich die kleinen Buchstaben auf dem Touchscreen kaum treffe, so sehr zittern meine Finger. Die Seite baut sich unendlich langsam auf. Doch dann hab ich es.
»Es gibt ein Altersheim Efeumühle. Blumenstraße 45.« Ich wechsele zu Maps und dort habe ich den Eintrag sofort. Und ich kann es kaum glauben, es ist direkt um die Ecke der Parkstraße. Andererseits ist es natürlich logisch, wir haben meine Oma auch in einem Altersheim um die Ecke untergebracht, damit wir sie so oft wie möglich besuchen können.
»Das muss es sein!«, Diego hält widerstrebend an einer roten Ampel und wirft einen Blick auf den Stadtplan im Handy. Dann sieht er sich um. »Wir müssen raus aus dem Auto«, sagt er. »Es wird zu gefährlich. Die Rolfs setzt bestimmt die Großfahndung ein und die Karre ist voller Schlamm.«
Er hat recht, wir müssen anders weiterkommen und vor allem schnell. Ich hoffe, dass Frau Braun uns auch wirklich weiterhelfen und zu Ida führen wird. Und ich verbiete mir, daran zu denken, dass das eine Sackgasse sein könnte. Bei Sackgasse fällt mir plötzlich wieder der Trittbrettfahrer ein, mit der zweiten Lösegeldforderung. »Aber vorher muss ich unbedingt wissen, was mit Sebastian passiert ist.«
Diego schüttelt den Kopf. »Sein Telefon wird doch überwacht.«
Die gesamte Situation kommt mir völlig ausweglos vor, Diego und ich allein gegen den Rest der Welt. Mir wird klar, dass wir uns an den allerletzten Strohhalm klammern, nur um uns nicht mit unserer Schuld konfrontieren zu müssen. Trotzdem, ich brauche Klarheit. Was, wenn Ida längst gefunden wurde? Oder sich die angeblichen Entführer gemeldet haben und es sich herausgestellt hat, dass es doch die Mafia war?
Ich überlege, wie ich an die Informationen komme, und da fällt mir etwas ein. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte Frau Rolfs zwar die Erlaubnis vom Oberstaatsanwalt, die Telefone aller Familienmitglieder zu überwachen, aber zu denen gehört nicht Andrea Reimann. Vielleicht kann ich von ihr etwas über Sebastian erfahren.
Diego versucht, mich davon abzuhalten, aber ich bestehe darauf, denn ich habe Angst, dass wir wie die kompletten Narren hier von Darmstadt Richtung Frankfurt rasen, ohne irgendetwas zu bewirken.
Wir parken den Polizeiwagen auf einem Parkplatz in der Bismarckstraße und machen uns auf die Suche nach einer Telefonzelle, was sich als schwierig herausstellt. Es gibt fast keine mehr. Erst in der Nähe des Bahnhofs entdecken wir welche und das ist auch gut so, denn inzwischen wird mit Sicherheit nach uns gefahndet und am Hauptbahnhof in Darmstadt ist um diese Uhrzeit viel los. Zudem sehe ich in den viel zu großen Polizeikleidern aus wie eine Pennerin und werde dort nicht so auffallen.
Diego hat noch Kleingeld in seiner
Weitere Kostenlose Bücher