Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
Kaff, in dem Ferguson letztes Jahr gewesen ist. Bekomm raus, welche Mädchen dort verschwunden sind, und finde das Indiz, das ihn mit dem Mord in Verbindung bringt. Es wird doch wohl wenigstens ein Kaff geben, in dem der Leichenfundort noch etwas hergibt. Eine mühsame, zeitraubende Arbeit, räumte er ein, bei der jede Stunde, die er damit zubrachte, irgendwo in einer anderen Stadt ein anderes Mädchen in Lebensgefahr brachte. Er hasste jede vergeudete Sekunde.
Cowart saß in seinem kleinen Zimmer und versuchte, sich zu einer Entscheidung durchzuringen. Er betrachtete seine Notizen, verfasst in einer krakeligen Schrift, die er selbst kaum noch entziffern konnte. Nur mit Mühe konnte er die Liste der Städte ausmachen, die Ferguson seit seiner Entlassung aus dem Todestrakt in Florida besucht hatte. Sieben insgesamt. Hieß das etwa, dass sieben kleine Mädchen gestorben waren?
Hat er bei jedem Ausflug ein Kind ermordet?
Oder hat er gewartet und ist zu einem späteren Zeitpunkt zurückgekehrt?
Joanie Shriver. Dawn Perry. Es war wohl kaum bei diesen beiden geblieben. In Cowarts Kopf marschierten unzählige Mädchen auf, Kinder in T-Shirt und Shorts oder in Jeans, mit Pferdeschwanz, unschuldig und allein. Schutzlos ausgeliefert. Er sah, wie Ferguson ihnen auflauerte, ihnen dann mit offenen Armen entgegentrat, sich mit einem gewinnenden, wohlkalkulierten Lächeln ihr Vertrauen erschlich und sie gezielt in die tödliche Falle lockte.
Cowart schüttelte den Kopf, um die Bilder zu verbannen. Stattdessen fielen ihm Sullivans Worte ein – dass es für ihn ein Leichtes sei, einen Menschen zu töten.
Sind Sie ein Mörder, Cowart?
Und? Bin ich einer?, fragte er sich.
Er wandte sich wieder der Liste mit den Ortschaften in Florida zu und merkte, wie ihm plötzlich die Arme kribbelten, von den Schultern bis in die Fingerspitzen.
Ein paar kleine Mädchen sind tot, die noch am Leben sein könnten, hätte es dich und deine Reportage nicht gegeben. Kleine, unschuldige Mädchen.
Sullivan hatte die Wahllosigkeit seiner Verbrechen als Tarnung gedient. Er hatte wildfremde Menschen getötet, die ihm rein zufällig über den Weg liefen. Durch die Beliebigkeit hatte er es der jeweiligen Polizeibehörde unmöglich gemacht, einen Bezug zu ihm herzustellen. Cowart fürchtete, dass Ferguson nach demselben Prinzip agierte. Schließlich war er bei einem Experten in die Lehre gegangen. Von Sullivan hatte er etwas Entscheidendes gelernt: seine abscheulichen Begierden und alles, was damit zusammenhing, genauestens zu studieren.
Er musste an seinen Besuch im Archiv des Journal denken und hatte die Überschrift der kurzen Meldung über den Mord der kleinen Dawn Perry vor Augen: POLIZEI IM FALL DES VERMISSTEN MÄDCHENS OHNE JEDE SPUR. Na klar. Er hinterlässt keine Spuren, keine brauchbaren Beweise, jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Ein unschuldiger Mann, der mit Ruhe und Bedacht kleine Mädchen ums Leben bringt.
Cowart holte tief Luft und führte sich das ganze verworrene Gemisch aus Fakten, Schlussfolgerungen und Phantasiegebilden vor Augen. Ihm schwirrte der Kopf, als die quälenden Vorstellungen von den geschundenen Opfern in einer einzigen Bilderflut Gestalt annahmen, bis er nur noch ein einziges Gesicht vor sich hatte – das Gesicht seiner eigenen Tochter. Plötzlich hatte er das Gefühl, bis zu diesem Moment in einer Art moralischem Dämmerzustand gelebt zu haben, in dem all die ermordeten Opfer seine Beziehung zu Blair Sullivan und zu Robert Earl Ferguson definierten. Das war vorbei.
Erschöpft legte Cowart den Kopf in die Hände. Tötet er jetzt in diesem Moment? Heute Abend? Oder wann? Nächste Woche? Cowart richtete sich auf und starrte in den Spiegel über der Kommode.
»Und du gottverdammter Vollidiot hattest Angst um deinen Ruf!«
Er schüttelte den Kopf und betrachtete sein vorwurfsvolles Spiegelbild. W enn du nicht schleunigst etwas tust, ist dein ach so kostbarer Ruf jedenfalls endgültig ruiniert, fügte er stumm hinzu.
Was kannst du tun?
Ihm fiel eine Reportage ein, die seine Freundin Edna McGee einmal für das Journal geschrieben hatte. Sie hatte erfahren, dass die Polizei in einem Vorstadtviertel von Miami in sechs Vergewaltigungsfällen ermittelte, die alle auf einem bestimmten Highway-Abschnitt passiert waren. Als sie die Ermittler befragte, hatten diese sie dringend davor gewarnt, ein Wort darüber zu schreiben, weil der Täter sonst erfahren würde, dass die Polizei ihm auf der Spur war. Er würde seinen Modus
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