Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
Operandi ändern, sich einen neuen Tatort aussuchen und auf diese Weise den Lockvögeln und den Wachposten entwischen, die sie im Einsatz hatten. Edna McGee hatte ernsthaft über diese Bitte nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass es wichtiger sei, die nichtsahnenden Frauen zu warnen, die dem Vergewaltiger auf seiner Route künftig in die Falle gehen würden.
Der Artikel war auf der Titelseite der Sonntagsausgabe erschienen, mit einem polizeilichen Phantombild, das den Lesern in hunderttausendfacher Auflage schwarz auf weiß bösartig entgegenstarrte. Wie zu erwarten, schäumten die Ermittler vor Wut, da sie fürchteten, dass die Berichterstattung den Täter nur verscheucht, aber nicht unschädlich gemacht hatte.
Es sollte anders kommen. Der Verbrecher hatte nicht etwa nur sechs Frauen vergewaltigt, sondern über vierzig. Doch die meisten Opfer waren so traumatisiert, dass sie sich scheuten, zur Polizei zu gehen. Stattdessen waren sie nach ihrem Martyrium heimgeflüchtet, hatten ihrem Schicksal dafür gedankt, noch am Leben zu sein, und einfach gehofft, ihr geschundener Körper und ihre verletzte Seele würden irgendwann heilen. Doch auf die Reportage hin hatte sich eine Frau nach der anderen bei Edna gemeldet – unter Tränen, leise und stockend, kaum fähig, den Horror in Worte zu fassen, aber entschlossen, dieser Reporterin ihre Geschichte zu erzählen und wenn möglich zu verhindern, dass irgendwo eine weitere Frau diesem Mann zum Opfer fiel. Binnen weniger Tage nach Erscheinen der Reportage hatten sie angerufen, wenn auch vor Angst zumeist anonym. Bis dahin hatte jede von ihnen geglaubt, das einzige einsame Opfer zu sein. Am Ende dieser hektischen Woche konnte Edna mit einer genauen Beschreibung des Täters sowie seines Fahrzeugs samt Kennzeichen und einer Fülle anderer Einzelheiten aufwarten. So war die Polizei – gerade mal vierzehn Tage nach dem Erscheinen des ersten Artikels – imstande, eines Abends an die Tür des Mannes zu klopfen, der gerade aufbrechen wollte.
Cowart lehnte sich bei der Erinnerung an den spektakulären Fall nachdenklich zurück. Er versuchte einzuschätzen, ob Fergusons Drohung ernst zu nehmen war.
Tu, was du tun musst, befahl er sich.
Pack alles zusammen, all die Lügen, die Pannen und Fehleinschätzungen, die widerrechtlich erlangten Beweise, pack einfach alles in einen Artikel und bring ihn in der Zeitung. Mach dich sofort dran, bevor er den nächsten Schachzug machen kann – ein verbaler Frontalangriff. Dann schnapp dir deine Tochter und verstecke sie.
Das ist die einzige Waffe, über die du verfügst.
»Natürlich«, murmelte er, »werden dich deine lieben Kollegen dafür in der Luft zerfetzen – sie werden dich rädern, vierteilen und deinen Kopf aufspießen. Danach wird es ziemlich unangenehm. Deine Frau wird dich hassen, und ihr Mann wird dich hassen, und deine Tochter wird es nicht verstehen; wenn du Glück hast, wird sie dich nicht hassen.« Doch es gab keine andere Möglichkeit.
Er setzte sich wieder aufs Bett und spann den Gedanken weiter. Du bringst alle Welt gegen dich auf, doch auf diese Weise bekommt hoffentlich jeder, was er verdient. Sogar Ferguson.
Riesige Schlagzeilen, Fotos in Farbe. Sorge dafür, dass sich die Zeitungen darauf stürzen und die Magazine. Es muss Futter für die Talkshows sein – schrei die Wahrheit von den Dächern, hau sie Ferguson so lange um die Ohren, bis sein Lügengebäude wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Dann wird es niemand mehr ignorieren. Sorge dafür, dass er nirgends hingehen kann, ohne im Blitzlichtgewitter und vor laufenden Kameras zu stehen. Schildere den Mann so genau und lebendig, dass er sich nirgends verstecken kann, weil er überall auffällt wie ein bunter Hund. Lass ihn nie wieder aus dem Rampenlicht verschwinden, nimm ihm jede Chance, weiter zu morden.
Er darf nie wieder unsichtbar sein, das bringt ihn um.
Sind Sie ein Mörder, Cowart?
Wenn es sein muss …
Er griff zum Telefon, um Will Martin anzurufen, als es energisch an der Zimmertür klopfte. Wahrscheinlich Tanny Brown, dachte er.
Während er in Gedanken schon dabei war, seinen ersten Artikel zu formulieren, stand er auf und öffnete die Tür. Es war Andrea Shaeffer.
»Ist er hier?«
Ihre Haare trieften, ihr Regenmantel war durchnässt und hatte an den Schultern große dunkle Flecken. Ihr verzweifelter Blick ging an ihm vorbei ins Zimmer. »Ist Wilcox hier? Wir wurden getrennt.«
Er wollte gerade verneinen, doch sie drängte sich an ihm
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