Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
Wissen Sie, was das ist?« Es kostete ihn offenbar große Mühe, zu einem sachlichen Ton zurückzufinden.
»Klären Sie mich auf.«
»Der Gouverneur hat einen Hinrichtungsbefehl unterzeichnet. Dann dürfen wir alle den ganzen Tag nicht aus unseren Zellen, bis der Befehl entweder außer Kraft gesetzt oder die Exekution durchgeführt ist.«
»Und wie war es in diesem Fall?«
»Der Mann hat vom fünften Bezirksgericht einen Aufschub bekommen.« Ferguson schüttelte den Kopf. »Aber er ist nur noch mal so gerade eben davongekommen. Sie wissen ja, wie das läuft. Zuerst nutzen Sie alle Einspruchsmöglichkeiten, die der ursprüngliche Prozess hergibt. Wenn das nichts bringt, versuchen Sie es mit den Grundsatzthemen, zum Beispiel der Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe. Oder meinetwegen auch der ethnischen Zusammensetzung der Geschworenen. Einer der Favoriten hier bei uns. Schöpfen Sie alle Argumente aus, lassen Sie sich was Neues einfallen, irgendetwas, das den Juristen selbst noch nicht in den Sinn gekommen ist. Und die ganze Zeit tickt die Uhr.«
Ferguson kehrte zu seinem Platz zurück, setzte sich und faltete die Hände auf dem Tisch. »Wissen Sie, was ein Lockdown mit Ihnen macht? Sie haben das Gefühl, als würden Sie zu Eis gefrieren. Sie sitzen in der Falle, und dann hört sich jedes Ticken dieser verdammten Uhr wie Ihr eigenes Herzklopfen an, so als wären Sie selbst an der Reihe, weil Sie genau wissen, dass irgendwann jemand mit diesem Hinrichtungsbefehl kommt, die Leute in den Zellen einsperrt … und dann steht plötzlich Ihr Name drauf. Im Grunde stirbt man schon vorher, als ob sie einem Tropfen für Tropfen das Blut aus den Adern ließen. Im Trakt ist dann jedes Mal die Hölle los. Fragen Sie Sergeant Rogers, der kann es Ihnen bestätigen. Zuerst gibt’s ne Menge wütendes Gebrüll, aber das ist nach ein paar Minuten vorbei. Dann tritt von einem Moment zum anderen eine gespenstische Stille ein, und man meint zu hören, wie die Männer in ihren Alpträumen Blut und Wasser schwitzen. In dem Moment braucht nur irgendwas zu passieren, irgendeine Kleinigkeit, und mit der Ruhe ist es vorbei, denn dann fangen einige wieder an zu schreien, manche unerträglich laut. Wir hatten mal einen, der hat zwölf Stunden durchgebrüllt wie am Spieß, bis er ohnmächtig wurde. Ein Lockdown treibt einen schier in den Wahnsinn, am Ende ist da nur noch der Hass und kein Funken gesunder Menschenverstand. Dann holen sie einen.«
Die letzten Worte sprach Ferguson sehr leise, dann stand er wieder auf und lief hin und her. »Wissen Sie, was ich an Pachoula am meisten gehasst habe? Diese träge Selbstgefälligkeit. Es war alles so hübsch und so nett und so verdammt ruhig.«
Ferguson ballte die Faust. »Alles gehörte an seinen Platz, es hatte so zu sein und nicht anders. Jeder kannte jeden, und jeder wusste haargenau, wo es langgeht, wie man sein Leben zu führen hat. Du stehst morgens auf. Gehst zur Arbeit. Ja, Sir, nein, Sir. Fährst nach Hause. Genehmigst dir einen Drink. Dann gibt’s Abendessen. Nach dem Abendessen machst du die Glotze an. Gehst schlafen. Am nächsten Tag alles von vorne. Freitagabend siehst du dir das Highschool-Match an. Samstag geht’s zum Picknick raus ins Grüne. Sonntag, ab in die Kirche. Machte keinen großen Unterschied, ob du schwarz oder weiß warst – nur dass die Weißen das Sagen hatten und die Schwarzen für die Drecksarbeit zuständig waren, so wie schon immer im Süden. Und vor allem hab ich gehasst, dass alle das offenbar in Ordnung fanden. Die liebten diesen Trott – ein Tag wie der andere, gestern, heute, morgen, alle Jahre wieder.«
»Und Sie?«
»Sie haben recht. Ich hab da nicht reingepasst, weil ich was anderes wollte, weil ich mir Ziele gesetzt habe. Meine Granny ist vom selben Schlag. Für die Schwarzen in der Nachbarschaft ist sie eine harte alte Frau, die sich für was Besseres hält, obwohl sie in einer kleinen Hütte ohne Innentoilette und mit einem Hühnerstall dahinter lebt. Diejenigen, die es zu was gebracht haben – wie Ihr gottverdammter Tanny Brown –, haben ihr nie verziehen, dass sie Stolz hat. Haben es ihr verübelt, dass sie vor niemandem katzbuckelt. Sie haben sie ja kennengelernt. Können Sie sich vorstellen, dass sie auf dem Bürgersteig zur Seite tritt, um jemanden vorbeizulassen?«
»Nein, sicher nicht.«
»Sie war ihr Leben lang eine Kämpfernatur. Und als ich dann auf der Bildfläche erschien, war ich genauso wenig wie sie der Typ, der es allen recht
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