Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
niemandem ein offenes Ohr fand. Ohne ihn stünde ich jetzt nicht vor Ihnen.«
Cowart bezweifelte, dass es dieser letzte Teil seiner kleinen Ansprache in die Spätnachrichten schaffen oder er in irgendeiner der anderen Zeitungen als Zitat erscheinen würde. Er schmunzelte.
Die Reporter bombardierten den Entlassenen mit Fragen.
»Wollen Sie nach Pachoula zurück?«
»Ja, das ist meine einzige richtige Heimat.«
»Was haben Sie für Pläne?«
»Ich möchte studieren. Vielleicht Jura oder Kriminologie. In Strafrecht kenne ich mich inzwischen recht gut aus.«
Dafür erntete er Gelächter.
»Und der Prozess?«
»Was gibt es da zu sagen? Mir soll noch einmal der Prozess gemacht werden, allerdings sehe ich nicht, worauf sich eine Anklage stützen will. Ich denke, ich werde freigesprochen. Ich möchte nur mein Leben zurück, nicht länger im Rampenlicht stehen, wieder ganz normal sein. Nicht, dass ich was gegen Sie hätte …«
Wieder erntete er Gelächter. Die Presse schien den eher zart gebauten Mann, der im Hagel der Reporterfragen jedes Mal mit dem Kopf herumfuhr, um dem Betreffenden ins Gesicht zu sehen, aufzusaugen. Cowart entging nicht, wie souverän, entspannt und sogar humorvoll Ferguson die Fragen der improvisierten Pressekonferenz parierte. Offenbar genoss er die Situation.
»Aus welchem Grund wird man Ihrer Meinung nach noch einmal Anklage gegen Sie erheben?«
»Um das Gesicht zu wahren. Andernfalls müsste die Staatsanwaltschaft einräumen, dass sie versucht hat, einen Unschuldigen hinzurichten. Einen unschuldigen Schwarzen. Sie würde wohl eher an einer Lüge festhalten, als sich der Wahrheit zu stellen.«
»Haargenau, Mann!«, rief jemand aus der Gruppe der Demonstranten. »Wird Zeit, dass das mal gesagt wird.«
Von einem Kollegen wusste Cowart, dass diese eingeschworene Schar bei jeder Exekution aufkreuzte, Kerzenmahnwachen hielt und »We Shall Overcome« oder »I Shall Be Released« sang, bis der Gefängnisdirektor erschien und erklärte, der Hinrichtungsbefehl sei vollstreckt. Normalerweise gesellte sich dann ebenso zuverlässig eine Schar Aktivisten in Jeans und weißem T-Shirt sowie spitzen Cowboystiefeln hinzu, die dafür eintraten, am besten gleich »das ganze Pack auf dem Bratrost schmoren zu lassen«, und die sich mit den Gegnern das eine oder andere Gerangel lieferten. Heute glänzten sie jedoch durch Abwesenheit.
Die Presse wiederum sah, wenn möglich, über beide Gruppierungen geflissentlich hinweg.
»Können Sie uns etwas zu Blair Sullivan sagen?«, brüllte ein Fernsehreporter und hielt Ferguson sein Mikrophon vors Gesicht.
»Was soll mit ihm sein? Ich denke, er ist ein gefährlicher, schwer gestörter Mensch.«
»Hassen Sie ihn?«
»Nein, schließlich sollen wir die andere Wange hinhalten, aber ich gebe zu, dass das wahrhaftig nicht immer einfach ist.«
»Glauben Sie, er legt ein Geständnis ab und erspart Ihnen den Prozess?«
»Nein. Ich denke, der bereitet sich nur noch auf das Geständnis vor, das er ablegen muss, wenn er seinem Schöpfer gegenübertritt.«
»Haben Sie mit ihm über den Mord gesprochen?«
»Er redet mit niemandem. Schon gar nicht darüber, was er in Pachoula getan hat.«
»Was halten Sie von den beiden Detectives?«
Er zögerte einen Moment. »Kein Kommentar«, sagte er schließlich. Ferguson grinste. »Mein Anwalt hat mir geraten, wenn mir nichts Nettes oder Neutrales über die beiden einfallen sollte, ›kein Kommentar‹ zu sagen. Bitte schön.«
Womit er bei den Reportern noch eine Lachsalve auslöste.
Er lächelte gewinnend, und als die Kameraleute und die Tontechniker mit ihren Galgenmikrophonen um die letzten Aufnahmen kämpften, herrschte noch einmal Chaos. Das Surren der Kameras klang wie das Summen von Insekten an einem stillen Abend. Schließlich hob Ferguson die Hand zum Siegeszeichen, dann wurde er durch die Menge zu einem Auto geschleust, wo er auf dem Rücksitz verschwand und durch das geschlossene Fenster einer Handvoll Fotografen zuwinkte, die ihre letzten Bilder schossen. Dann fuhr der Wagen los und entschwand über die lange Gefängniszufahrt in einer feinen Staubwolke über dem heißen Asphalt, während ihm ein Arbeitstrupp von Anstaltsinsassen entgegenkam, die schweißgetränkt, die Spitzhacken auf den Schultern, zur Mittagspause zurückkehrten. Die Männer sangen ein Arbeitslied, und auch wenn Cowart die Worte nicht ausmachen konnte, hallte ihm der monotone Rhythmus noch lange in den Ohren.
Ein paar Wochen später fuhr er mit
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