Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Täter / Psychothriller

Der Täter / Psychothriller

Titel: Der Täter / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
ein Gewohnheitsmensch. Montags geht er ins Fischgeschäft, zum Obststand und schließlich in den Supermarkt. Dann bringt er seine Einkäufe nach Hause und räumt sie ein. Danach geht er in die Bibliothek und liest die überregionalen Zeitungen. Anschließend macht er einen kurzen Spaziergang auf der Promenade. Schließlich kommt er nach Hause und ruft mich an, und wir gehen vielleicht ins Kino, weil es montags nicht so voll ist wie am Wochenende. Oder mittwochs: Da besucht Irving nachmittags den Bridge-Club; davor kommt er bei mir vorbei, um mich abzuholen, und manchmal bleibt er länger. Donnerstags geht er zu einer Debattiergruppe in der Bibliothek. Am Freitag sind die abendlichen Gottesdienste. Das sind die Dinge, die jetzt genau wie bei mir und beim Rabbi den Alltag ausmachen. Bei vielen Überlebenden ist es mehr oder weniger das Gleiche, Mr.Winter. Wir führen ein wohlgeordnetes Leben. Es ist, als ob die Nazis in jeden von uns eine Uhr eingepflanzt hätten und wir präzise funktionieren müssten. Wenn ich also am Dienstagabend zu Irving fahre und er ist nicht da, um mit mir wie jeden Dienstagabend in der Stadthalle zum Bingo zu gehen, dann weiß ich, dass Irving in Schwierigkeiten ist. Und für Menschen wie uns gibt es nur dreierlei Arten von Schwierigkeiten, Mr.Winter.«
    »Und welche, Mrs.Kroner?«
    »Zum einen Krankheit. Krankheit und Alter; das läuft manchmal auf ein und dasselbe hinaus. Vielleicht hatte Irving einen Schlag oder einen Unfall …«
    »Aber wir haben in den Krankenhäusern angerufen, und er wird nirgends geführt«, warf Rabbi Rubinstein ein.
    »Dann Gewalt. Vielleicht hat ihn irgendeiner von diesen jungen Leuten, die mit ihrem Lärm und ihren schnellen Autos allmählich Miami Beach übernehmen, in einer dunklen Seitenstraße überfallen …«
    »Aber der Polizei ist nichts dergleichen gemeldet worden«, schaltete sich erneut der Rabbi ein.
    »Und dann gibt es eben noch den Schattenmann.«
    »Sie haben mit der Polizei gesprochen?«
    »Ja, selbstverständlich, sofort«, bestätigte der Rabbi. »Die haben gesagt, sie können nicht vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden eine Vermisstenmeldung aufnehmen, aber sie waren so nett und haben für uns die Unfälle und Straftaten überprüft. Doch selbst, wenn die Zeit um sei, sagen sie, könnten sie nicht viel für uns tun.«
    »So lange sie keine Leiche finden. Oder irgendein anderes Indiz dafür, dass ein Verbrechen vorliegt«, fügte Frieda Kroner bitter hinzu. »Ein alter Mensch, der in Miami Beach nicht zur gewohnten Zeit nach Hause kommt, ist nicht das Jahrhundertverbrechen, Detective. Das behandeln sie nicht gerade wie die Lindbergh-Entführung. Sie sind höflich, aber das ist auch schon alles. Einfach nur höflich.«
    Sie zischte leise: »Der Schattenmann lebt mitten unter uns, und sie sind höflich!«
    Simon Winter nickte. Er wusste, wovon sie sprach. In Ermangelung eines Hinweises auf eine Entführung, eines blutverschmierten Tatorts oder eines ähnlich unverkennbaren Anzeichens für ein Verbrechen würde die Polizei ihre Nachforschungen auf eine Fernschreibermeldung an die anderen örtlichen Polizeidienststellen und die Aufforderung beschränken, nach dem und dem die Augen offen zu halten – allenfalls würde man noch bei der täglichen Besprechung ein Foto verteilen.
    »Sagen Sie, könnte es für sein Verschwinden irgendeine andere Erklärung geben?«
    »Als da wäre?«
    »Angst. Vielleicht ist er bei Verwandten …«
    »Ohne uns Bescheid zu sagen?«
    Eher unwahrscheinlich, räumte Winter ein.
    »Litt er an Vergesslichkeit? Kurze Gedächtnislücken?«
    Der Rabbi schüttelte verärgert den Kopf. »Wir sind nicht senil! Gott sei Dank leidet keiner von uns an Demenz! Wenn Irving verschwunden ist, dann kann es dafür nur eine Erklärung geben!«
    Simon Winter dachte angestrengt nach. Alle alten Menschen in Miami Beach waren Gewohnheitstiere, manche, wie offenbar auch Irving Silver, Sophie Millstein oder Herman Stein fast krankhaft. Sie alle hatten ihr Leben auf eine Reihe von Fixpunkten ausgerichtet, als könnten die unverrückbaren Termine, Abläufe, Verabredungen, Mahlzeiten und Medikamenteneinnahmen den plötzlichen Eintritt des Todes verhindern.
    Und, dachte er, wer bietet mehr Angriffsfläche als jemand mit starren Gewohnheiten?
    Winter schüttelte den Kopf. »Einmal angenommen, das war der Schattenmann … also, Sophie wurde in ihrer Wohnung überfallen. Herman Stein starb in seiner Wohnung. Das scheint ein klares Muster zu

Weitere Kostenlose Bücher