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Der Täter / Psychothriller

Der Täter / Psychothriller

Titel: Der Täter / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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sein …«
    Diesmal schüttelte der Rabbi gereizt den Kopf. »Sie verstehen immer noch nicht, Mr.Winter! Hat ein Schatten eine festumrissene Gestalt? Hat ein Schatten Substanz? Ist er nicht vielmehr ein Phänomen, das sich mit dem Einfall des Sonnen- oder Mondlichts verändert? Deshalb war er ja so beängstigend, Mr.Winter. Damals in Berlin … Hätten wir gewusst, dass er Straßenbahn fährt, nun, dann wären wir zu Fuß gegangen. Hätten wir gewusst, durch welche Gassen er kommt oder durch welchen Fußgängertunnel … Hätten wir gewusst, in welchem Park er die frische Luft genießt … aber nichts dergleichen war bekannt. Jeder Moment war unvorhersehbar. Wieso sollte sich daran heute etwas geändert haben? Wenn er Sophie und den armen Mr.Stein in ihren Wohnungen getötet hat, dann nimmt der Schattenmann das nächste Mal eine andere Gestalt an und findet einen anderen Ort, und dort liegt jetzt Irving. Ich weiß es einfach!«
    Diese spröden, trockenen Worte, die keinen Widerspruch duldeten, knisterten in der feuchten, stehenden Luft auf der Straße. Einen Moment verstummte der Rabbi, dann fügte er finster hinzu: »Er hätte sich gewehrt. Ausdauernd und heftig. Er hätte gebissen und gekratzt und mit allem um sich geschlagen, was er in die Finger bekommen konnte. Irving war zäh. Er war hart im Nehmen. Er ging jeden Tag spazieren. Er hat Gewichte gehoben und ist an warmen Tagen im Meer geschwommen. Er hatte noch Kraft, und er hätte wie ein Tiger gekämpft, denn Irving hat das Leben geliebt.«
    »Es gab keinerlei Anzeichen für einen Kampf.«
    »Das habe ich gesehen. Das heißt, der Schattenmann hat ihn auf der Straße entführt.«
    »Das wäre aber ziemlich schwer gewesen. Meistens ist es hier sehr belebt. Sehen Sie sich die Veranda an. Normalerweise sind da Dutzende von Menschen, die auf die Straße blicken …«
    »Für die meisten Kriminellen wäre das in der Tat schwierig gewesen, Detective, da haben Sie recht«, räumte der Rabbi nachsichtig ein. »Aber Sie dürfen nicht vergessen: Genau das hat er in all den Kriegsjahren immer und immer wieder getan. Still und unauffällig setzte er dem Leben von Menschen ein Ende. Mr.Winter, ist es Ihnen noch nie passiert, dass Ihnen beim Rasieren die Hand ausrutscht, während sie die Klinge hält, und wenn Sie in den Spiegel gucken, sehen Sie, dass Ihnen das Blut das Kinn herunterläuft? Aber hat es in dem Moment weh getan, als es passiert ist? Ich glaube nicht. So ein Mann ist er.«
    Frieda Kroner nickte, bevor sie leise, doch wütend flüsterte: »Wir müssen ihn finden. Heute oder morgen oder diese Woche oder die nächste, aber wir müssen ihn finden. Sonst findet er uns. Wir müssen uns wehren.«
    »Auch gegen einen Schatten«, fügte der Rabbi hinzu.
    Simon Winter nickte. Dieser Mann ist anders als die anderen, dachte er. Er merkte, wie er sich daran die Zähne ausbiss, ihm Konturen zu verleihen, indem er systematisch die Fakten durchkaute.
    »Was sagten Sie noch beim letzten Mal, Mrs.Kroner? Er ist einer von uns?«
    »Ja, richtig. Er muss auch ein Überlebender sein.«
    »Dann werde ich da ansetzen. Und ich schlage vor, Sie beide auch. Er wird da draußen sein, in einer Synagoge, an einem Holocaust-Mahnmal, bei einer Wohnungseigentümer-Versammlung so wie im Falle von Mr. Stein. Es muss Namen geben, Namenslisten. Da fangen wir an.«
    »Ja, ja, verstehe«, sagte der Rabbi. »Ich kann mich auch mit anderen Rabbinern in Verbindung setzen.«
    »Gut. Die unter sechzig können Sie streichen …«
    »Er müsste älter sein. Nicht besser fünfundsechzig? Oder achtundsechzig?«
    »Ja. Aber wir sind alle alt, und wir wissen, dass man nicht allen Leuten die Jahre, die sie auf dem Buckel haben, gleichermaßen ansieht – manche erscheinen jünger, andere älter. Ich würde vermuten, dass der Schattenmann, der immerhin zwei – vielleicht sogar drei – Morde verübt hat, die Kraft und das Aussehen eines jüngeren Mannes hat. Das sollten wir im Hinterkopf behalten.«
    Der Rabbi nickte. »Wie der Mann, dem sie in Israel den Prozess machen. Er war heute wieder in der Zeitung.« Simon Winter hatte das Bild des Mannes, der angeklagt war, Aufseher eines Vernichtungslagers gewesen zu sein, vor Augen. Er war jeden Abend im Fernsehen und in der Presse zu sehen: ein wuchtiger Mann, mit einem üppigen Taillenumfang, breiten Schultern und Holzpfählen von Armen. Er hatte eine fortgeschrittene Glatze und wirkte auf verstörende Weise grobschlächtig. Er wurde immer von zwei

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